Die Beschenkte
Dach aus dicken Ästen und einem Bächlein, das den Pferden zu gefallen schien.
»Das ist alles, was ein Mensch braucht«, sagte Bo. »Hier könnte ich ganz zufrieden leben. Was meinst du, Katsa?«
»Hast du Hunger auf Fleisch? Ich fange uns etwas.«
»Noch besser. Aber in ein paar Minuten wird es stockdunkel sein. Ich möchte nicht, dass du dich verirrst.«
Da lächelte Katsa und sprang über den Bach. »Es dauert nur ein paar Minuten. Und ich verirre mich nie, auch nicht im Stockdunkeln.«
»Nimmst du noch nicht einmal deinen Bogen mit? Willst du einen Elch mit bloßen Händen erwürgen?«
»Ich habe ein Messer im Stiefel«, sagte sie und überlegte dann einen Moment, ob sie einen Elch mit bloßen Händen erwürgen könnte. Es schien möglich. Aber jetzt suchte sie nur ein Kaninchen oder einen Vogel, und ihr Messer würde ihr als Waffe genügen. Sie schlüpfte zwischen den knorrigen Bäumen hindurch in die moosige Stille des Waldes. Sie musste nur horchen, stillhalten und sich unsichtbar machen.
Als sie nach ein paar Minuten mit einem großen, dicken, gehäuteten Kaninchen zurückkam, hatte Bo ein Feuer gemacht. Die Flammen warfen orangefarbenes Licht auf die Pferde und ihn. »Das war das Mindeste, was ich tun konnte«, sagte er trocken, »und wie ich sehe, hast du das Kaninchen schon gehäutet. Ich glaube allmählich, dass ich nicht viel Verantwortung haben werde, solange wir miteinander durch den Wald reisen.«
»Macht dir das etwas aus? Du kannst gern selbst auf die Jagd gehen. Vielleicht kann ich so lange am Feuer bleiben, deine Socken stopfen und schreien, wenn ich irgendwelche seltsamen Geräusche höre.«
Da lächelte er. »Behandelst du Giddon auch so, wenn ihr zusammen reist? Ich kann mir vorstellen, dass er das ziemlich entwürdigend findet.«
»Armer Bo. Tröste dich damit, dass du meine Gedanken lesen kannst, wenn du dich überlegen fühlen willst.«
Er lachte. »Ich weiß, dass du mich aufziehst. Und du solltest wissen, dass ich mich nicht so leicht entwürdigen lasse. Du kannst mein Essen erjagen, mich im Kampf jedes Mal schlagen und bei einem Angriff beschützen, wenn du willst. Ich werde dir dafür dankbar sein.«
»Aber ich würde dich bei einem Angriff nie beschützen müssen. Und ich bezweifle auch, dass du darauf angewiesen bist, mich zum Jagen zu schicken.«
»Stimmt. Aber du bist besser als ich, Katsa. Und das entwürdigt mich nicht.« Er legte einen Ast aufs Feuer. »Es macht mich bescheiden. Aber es entwürdigt mich nicht.«
Sie saß schweigend da, während es finster wurde, und sah zu, wie das Blut von dem Fleischstück tropfte, das sie an einem Stock übers Feuer hielt. Sie horchte auf das Zischen, wenn die Tropfen in die Flammen fielen. Sie versuchte den Unterschied zwischen bescheiden machen und entwürdigen herauszufinden, und sie verstand schließlich, was Bo meinte. Sie hätte diese Unterscheidung von selbst nicht gemacht. Bo war in seinen Gedanken so klar, während ihre wie ein ständiger Sturm waren, dessen Sinn sie nie verstand und nie beherrschte. Sie spürte plötzlich und drastisch, dass Bo klügerwar als sie, um Welten klüger, und dass sie im Vergleich zu ihm ein rohes Tier war. Ein denkunfähiges, gefühlloses Tier.
»Katsa!«
Sie schaute auf. Die Flammen tanzten im Silber und Gold seiner Augen und spiegelten sich in den Reifen in seinen Ohren. Sein Gesicht leuchtete.
»Sag mir – wessen Idee war der Rat?«
»Das war meine Idee«, sagte sie.
»Und wer hat entschieden, welche Aufgaben der Rat erledigt?«
»Letzten Endes habe ich das getan.«
»Wer hat die Einsätze geplant?«
»Das habe ich auch gemacht, mit Raffin, Oll und den anderen.«
Jetzt beobachtete er das Fleisch, das über dem Feuer briet. Er drehte es um und schüttelte es zerstreut, so dass der Saft zischend in die Flammen tropfte. Dann hob er wieder den Kopf und schaute sie an.
»Ich weiß nicht, wie du auf den Gedanken kommst«, sagte er, »dass es dir im Vergleich zu mir an Intelligenz fehlt oder dass du nicht genug denkst oder fühlst. Ich habe mein ganzes Leben damit verbringen müssen, mir die Gefühle anderer, und auch meine eigenen, aus dem Kopf zu schlagen. Wenn mein Denken manchmal klarer ist als deines, dann, weil ich mehr Übung hatte. Das ist der einzige Unterschied zwischen uns.«
Er konzentrierte sich wieder auf das Fleisch. Sie beobachtete ihn und hörte ihm zu.
»Ich wünschte, du würdest dich an den Rat erinnern«, sagte er. »Ich wünschte, du würdest dich daran
Weitere Kostenlose Bücher