Die Beschenkte
Liebe.«
Da schlang sie ihm die Arme um den Hals, und er hob sie hoch und drückte sie an sich. Sie atmete in seinen Hemdkragen und hielt ihn fest.
Dann waren ihre Füße wieder auf dem Boden. Sie wandte sich ab und stieg in ihren Sattel. »Los jetzt«, sagte sie zu Bo. Als ihre Pferde den Stall verließen, schaute sie nicht zurück.
Ihre Route war schwierig und veränderlich, denn ihr einziger fester Plan sah vor, jedem Weg zu folgen, der sie der Wahrheit über die Entführung näher zu bringen schien. Ihr erstes Ziel war ein Gasthof südlich von Murgon City, einen dreitägigen Ritt von Randa City entfernt – ein Gasthof an dem Weg, den ihrer Meinung nach die Entführer genommen hatten. Hier kehrten Murgons Spione häufig ein, ebenso Händler und Reisende aus den Hafenstädten in Sunder, oft sogar aus Monsea. Für den Anfang war dieser Ort ebenso gut wie jeder andere, fand Bo, und er lag auf ihrem Weg, denn ihr endgültiges Ziel war Monsea.
Sie reisten nicht anonym. Katsa war an ihren Augen für jeden aus den sieben Königreichen zu erkennen, der Ohren hatte, die Geschichten über sie zu hören. Bo war eindeutig ein Lienid und so häufig Gegenstand müßiger Gespräche, dass er durch seine eigenen Augen und die Gesellschaft der Beschenkten zu identifizieren war. Die Geschichte von Katsas hastiger Abreise von Randas Hof zusammen mit dem Lienid-Prinzen würde sich rasch verbreiten. Jeder Versuch, sich unkenntlich zu machen, wäre unsinnig. Katsa wechselte noch nicht einmal die blaue Tunika und Hose, die sie als Mitglied von Randas Familie kennzeichnete. Die Leute würden den Zweck ihrer Reise vermuten, denn die meisten wussten, dass der beschenkte Lienid seinen vermissten Großvater suchte, und sie würden annehmen, die Beschenkte helfe ihm dabei. Über ihre Nachforschungen, ihre Route, sogar ihre Mahlzeiten würde viel geklatscht werden.
Trotzdem würde ihnen die Täuschung gelingen. Denn niemand konnte wissen, dass Katsa und Bo nicht nach dem Großvater, sondern nach dem Grund seiner Entführung suchten. Niemand konnte wissen, dass Katsa und Bo von Murgons Beteiligung wussten und König Leck von Monsea verdächtigten. Und niemand konnte ahnen, wie viel Bo durch banalste Fragen herausfinden würde.
Er ritt gut und fast so schnell, wie es Katsa gefiel. Die Bäume des südlichen Waldes flogen vorbei. Das Trommeln der Hufe schenkte ihr ein gewisses Behagen und betäubte ihr Gefühl für die größer werdende Entfernung zu den Menschen, die sie verlassen hatte.
Sie war froh um Bos Gesellschaft. Der Ritt machte ihr Freude. Doch wenn sie absaßen, sich die Beine vertraten und etwas aßen, war sie wieder schüchtern und wusste nicht, wie sie sich verhalten oder was sie sagen sollte.
»Setz dich zu mir, Katsa.«
Er saß auf dem Stamm eines großen, umgefallenen Baums und sie stand neben ihrem Pferd.
»Katsa, liebe Katsa, ich beiße nicht. Ich spüre deine Gedanken im Moment nicht, außer den, dass ich dich nervös mache. Komm, rede mit mir.«
Also kam sie und setzte sich neben ihn, doch sie sagte nichts und schaute ihn auch nicht richtig an, denn sie fürchtete, von seinen Augen gefangen genommen zu werden.
»Katsa«, sagte er schließlich, als sie ein paar Minuten lang schweigend nebeneinander gekaut hatten, »du wirst dich mit der Zeit an mich gewöhnen. Wir werden herausbekommen, wie wir am besten miteinander umgehen. Wie kann ich dir dabei helfen? Soll ich es dir immer sagen, wenn ich durch meine Gabe etwas spüre? Damit du es allmählich verstehst?«
Das kam ihr nicht sehr verlockend vor. Sie schwindelte sich lieber vor, er könne gar nichts spüren. Aber er hatte Recht. Sie waren jetzt zusammen unterwegs, und je früher sie sich damit auseinandersetzte, umso besser.
»Ja«, sagte sie.
»Gut, dann werde ich das tun. Hast du irgendwelche Fragen an mich? Du musst sie nur stellen.«
»Ich finde«, sagte sie, »wenn du immer weißt, was ich für dich empfinde, dann solltest du mir auch immer sagen, was du für mich empfindest. Immer.«
»Hm.« Er schaute zur Seite. »Davon bin ich nicht begeistert.«
»Ich bin auch nicht begeistert davon, dass du meine Gefühle kennst, aber ich habe keine Wahl.«
»Hmmm.« Er rieb sich den Kopf. »Ich nehme an, theoretisch wäre es gerecht.«
»Das wäre es.«
»Nun gut, mal sehen. Ich habe viel Mitgefühl für dich, weil du Raffin verlassen musstest. Ich halte dich für mutig, weil du dich Randa bei diesem Ellis widersetzt hast. Ich weiß nicht, ob ich das
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