Die Beschenkte
erinnern, dassdu bei unserer ersten Begegnung meinen Großvater gerettet hast, und das nur, weil du es nicht richtig fandest, dass er entführt wurde.«
Dann beugte er sich übers Feuer und legte einen weiteren Ast auf die Flammen. Sie saßen schweigend im Licht, von Finsternis umgeben.
Am Morgen erwachte sie vor ihm. Sie folgte dem Bächlein bis zu einer Stelle, die größer als eine Pfütze, aber kleiner als ein Teich war. Darin badete sie, so gut es ging. Sie schauderte, doch die Kälte von Luft und Wasser machte ihr nichts aus, so wurde sie richtig wach. Als sie ihr Haar lösen und entwirren wollte, scheiterte sie wie üblich. Sie riss und zog, doch ihre Finger fanden keinen Weg durch die Knoten. Sie band es wieder hoch, trocknete sich notdürftig ab und zog sich an. Als sie zurück auf die Lichtung kam, war Bo wach und schnürte seine Taschen zusammen.
»Würdest du mir das Haar abschneiden, wenn ich dich darum bitte?«
Er schaute mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Du versuchst doch nicht, dich zu verkleiden?«
»Nein, darum geht es nicht. Es macht mich einfach verrückt. Ich wollte es nie so lang haben und es wäre viel bequemer für mich, wenn es kurz wäre.«
»Hm.« Er musterte den großen Knoten in ihrem Nacken. »Es sieht aus wie ein Vogelnest«, sagte er und lachte über ihren wütenden Blick. »Wenn du das wirklich willst, kann ich es abschneiden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass duvon dem Ergebnis besonders angetan wärst. Warum wartest du nicht, bis wir im Gasthof sind, und fragst die Wirtin oder eine der Frauen in der Stadt?«
Katsa seufzte. »Na gut. Einen Tag kann ich noch damit leben.«
Bo verschwand in die Richtung, aus der sie gekommen war. Sie rollte ihre Decke zusammen und trug ihre Sachen zu den Pferden.
Die Straße wurde schmäler, je weiter sie nach Süden kamen, und der Wald wurde dichter und dunkler. Trotz Katsas Einwänden ritt Bo voran. Er behauptete, wenn sie das Tempo angab, ritten sie anfangs immer vernünftig, doch nach kurzer Zeit preschten sie jedes Mal in halsbrecherischer Geschwindigkeit dahin. Er betrachte es als seine Aufgabe, Katsas Pferd vor seiner Reiterin zu schützen.
»Du sagst, du denkst an das Pferd«, sagte Katsa, als sie hielten, um die Pferde an einem Bach zu tränken, der die Straße kreuzte. »Doch ich glaube, du kannst bei meinem Tempo einfach nicht mithalten.«
Darüber lachte er. »Du versuchst mich zu provozieren, aber ohne Erfolg.«
»Übrigens fällt mir ein«, sagte Katsa, »dass wir nicht mehr gekämpft haben, seit ich deinen Betrug entdeckt habe und du versprochen hast, mich nicht mehr anzulügen.«
»Nein, und auch nicht, seit du mir ans Kinn geboxt hast, weil du wütend auf Randa warst.«
Sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. »Schön«, sagte sie, »reite du voran. Aber was ist mit unserem Training? Willst du das nicht fortsetzen?«
»Natürlich. Vielleicht heute Abend, falls es noch hell ist, wenn wir Rast machen.«
Sie ritten schweigend weiter. Katsas Gedanken wanderten, und wann immer sie um ein Thema kreisten, das irgendetwas mit Bo zu tun hatte, bremste Katsa sie und bemühte sich um Vorsicht. Wenn sie schon an ihn dachte, dann durfte es nichts Bedeutsames sein. Er sollte nichts herausfinden, wenn er in ihre Gedanken eindrang, während sie über diesen ruhigen Waldweg ritten.
Ihr fiel ein, wie empfindlich er für Störungen sein musste. Was geschah, wenn er sich auf ein schwieriges Problem konzentrierte und eine große Menschenmenge auf ihn zukam? Oder ein Einzelner, der seine Augen seltsam fand oder seine Ringe bewunderte oder sein Pferd kaufen wollte? Verlor er die Konzentration, wenn andere in seine Gedanken eindrangen? Wie unangenehm das sein musste!
Und dann überlegte sie, ob sie, ohne ein Wort zu sagen, seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte. Wenn sie seine Hilfe brauchte oder anhalten wollte, könnte sie ihn dann in Gedanken anrufen? Es müsste möglich sein; wenn ein Mensch in seiner Reichweite mit ihm in Verbindung treten wollte, müsste er es merken.
Sie betrachtete ihn, wie er da vor ihr ritt, mit geradem Rücken und ruhigen Armen, die weißen Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgerollt wie immer. Dann schaute sie auf die Bäume, auf die Ohren ihres Pferdes und auf den Boden vor sich. Sie verbannte alles, was mit Bo zu tun hatte, aus ihren Gedanken. Ich werde eine Gans zum Abendessen jagen, dachte sie. Die Blätter an diesen Bäumen fangen schon an, die Farbe zu wechseln. Das Wetter ist so
Weitere Kostenlose Bücher