Die Beschleunigung der Angst
die Maschinenpistole von
der Schulter. Dann klopfte er den Oberkörper des Toten ab, zog ein Magazin aus
einer Tasche des Oberhemds und ersetzte es gegen das leere in der Waffe.
Xerxes sah im schwächer
werdenden Licht des untergehenden Mondes und dem erstarkenden Schein der einsetzenden
Morgendämmerung aus, als kaue er auf einem Kuhfladen.
»Ist nur zur Sicherheit.
Falls du auf dumme Gedanken kommst«, sagte Marco.
Daniel war so gefesselt von
den Ereignissen unter sich, dass er nicht mitbekam, wie Karla ihren Kopf aus der
Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Brustkorb löste. Sie betrachtete die
Szenerie unter sich, blickte von Marco zu Xerxes und zu dem Bodyguard, der mit
gespaltenem Schädel im Dreck der verwahrlosten Veranda lag. Ihr Verstand
benötigte einen Augenblick, diesen grausigen Anblick aufzunehmen und zu
verarbeiten. Doch dann traf sie die Bedeutung dessen, was sie sah, mit der
Wucht eines Hochgeschwindigkeitszuges.
Sie fing an zu schreien. Und
sie konnte nicht mehr aufhören.
Kapitel 31
Daniel legte Karla eine Hand
vor den Mund, versuchte, ihren Schrei zu ersticken. Doch es war zu spät.
»Da oben sind sie!«
Xerxes zeigte mit
ausgestrecktem Arm und behandschuhtem Zeigefinger auf das Fenster. Auch Marco
sah zu ihnen hoch, verzog das Gesicht zu einer Fratze, hob die geerbte Waffe
und schickte eine Salve Kugeln in den ersten Stock.
Daniel zog Karla zu Boden
und schützte sie mit seinem Körper. Sie stöhnte auf, als er unsanft auf ihr
landete, doch zumindest hörte sie auf zu schreien. Ein Muster aus Einschusslöchern,
das an einen lachenden Mund erinnerte, bildete sich im grünspanigen Beton der
Decke. Putz bröckelte auf sie herab, ließ sie husten.
Es war dieser Moment, in dem
Daniel eine Entscheidung traf. Es war diese Begebenheit, da er auf dem
gesprungenen Fußboden der Ruine lag und schimmliger Verputz auf ihn rieselte,
als er sich dazu entschied, zu agieren.
Er war geschlagen worden,
getreten und verspottet. Man hatte auf ihn geschossen, mehrmals. Seine Rippen
schmerzten immer noch, wenn er tief Luft holte. Ein Andenken an seinen Stunt
wie aus einem billigen Hollywood-Streifen, die er und Thomas im Akkord sahen
und sich dabei mit Erdnüssen und Kartoffelchips vollstopften. Er hatte einem
Menschen rostige Nägel ins Knie gedrückt. Allein der Gedanke an das Gefühl, als
er sie immer tiefer in das Gewebe und den Knorpel getrieben hatte, ließ ihn
einmal mehr Galle auf der Zunge schmecken.
Nein, er würde sich nicht
mehr zurücklehnen und warten, was als Nächstes passierte, würde nicht warten,
bis eine Patrone schließlich doch noch ihr Ziel fand. Denn trotz der
Riesenladung Scheiße, die er in dieser Nacht durchgemacht hatte, hatte er auch
eine ganze Menge Glück gehabt. Darauf würde er nicht ewig vertrauen können.
Oder, um es in der Fußballersprache zu sagen: Man muss das Glück erzwingen.
Er trug Verantwortung. Sich
selbst und vor allem Karla gegenüber. Er würde sie beide hier rausholen. Damit
dem kleinen Silberstreif, der über den Tannen den neuen Tag ankündigte, noch
ein Mittag sowie ein Abend folgte.
Er hielt die Waffe so, dass
er vom Mond beschienen den kleinen Hebel sah, mit dem er das Magazin auswerfen
konnte. Als das schmale Stück Metall aus dem Griff in seine Hand glitt, fühlte
er einen kalten, harten Klumpen in seinem Magen. Das Magazin war so leer wie
das Gesicht eines Strichmännchens. Seine Hand ballte sich zur Faust. Er
überprüfte den Lauf. Auch dort war keine Patrone zu finden. Der Schlitten stand
offen.
Ich trage die ganze Zeit
eine leere Waffe mit mir herum!
Er hatte mit der einzigen
Kugel dem Rahmen der Eingangstür eine potentiell tödliche Schusswunde zugefügt.
Das war eine Leistung, auf die man wirklich stolz sein konnte.
So ein verdammter Mist!
Trotzdem durfte er nicht
aufgeben. Auch ohne Pistole mussten sie sich etwas einfallen lassen, um die
Nacht zu überleben. Sie mussten die Drei überraschen, die Initiative übernehmen
und etwas tun, mit dem die Gangster nicht rechneten. Hier zu warten wäre ihr
sicherer Tod.
Irgendwie hoffte er ja immer
noch, dass Xerxes, Marco und Yvonne sich darauf einigten, zu verschwinden,
Videofilm hin oder her. Vielleicht konnten sie sich ja ins Ausland absetzen und
so lange untertauchen, bis die Wogen sich hier geglättet hätten. Aber er
wusste, dass das ein frommer Wunsch war, der jeglicher Realität entbehrte,
nicht nur, weil er schnelle Schritte auf dem Hof hörte, die sich um die
Hausecke
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