Die Beschleunigung der Angst
sich im oberen Stockwerk aufteilten, um
auszuschließen, dass er und Karla über eine der beiden Treppen flohen. Außerdem
dachten die Gangster, dass er bewaffnet war, und zu dritt würden sie ein
größeres Ziel abgeben. Daniel hoffte, dass Yvonne nicht mehr wusste, dass sie
lediglich noch eine Kugel Munition in der Waffe hatte, als Daniel sie an sich
genommen hatte. So, wie er sie mit dem Klappspaten bearbeitet hatte, hoffte er,
dass sie vor Kopfschmerzen keinen geraden Gedanken auf die Straße bringen
konnte.
Er war sich darüber im
Klaren, dass vieles nur Wunschdenken war, doch was sollte er tun? Sie saßen
hier oben in der Falle, es sei denn, sie würden einen Sprung aus dem Fenster in
Erwägung ziehen. Doch er schätzte die Entfernung zum Boden auf mindestens sechs
Meter, und die Gefahr, sich dabei etwas zu brechen, oder zumindest zu verstauchen,
war zu groß. Wenn einer von ihnen sich auch nur den Fuß verstauchte, würden sie
ein allzu leichtes Ziel abgeben.
Also erklärte er Karla, was
er vorhatte. Sie würde eine wichtige Rolle spielen. Sie nickte und versicherte
ihm, dass sie ihre Aufgabe erledigen würde. Im Licht der Taschenlampe konnte er
ihre Augen sehen. Sie war von einer fragilen Zartheit, doch in ihren Augen sah
er noch etwas anderes, etwas, das sich schon angedeutet hatte, als sie den
Schlüsselbund aus Keilers Hosentasche gefischt hatte. Eine Härte, die ihm
klarmachte, dass sie die Wahrheit sagte und ihr Bestes geben würde, um diesem
Alptraum zu entkommen. Er sah, dass sie nicht zusammenklappen würde, und ihr
Schrei, den sie angesichts der Bodyguardleiche mit dem gespaltenen Schädel
ausgestoßen hatte, der Vergangenheit angehörte. Dass mit diesem Aufschrei
sämtliche Zerbrechlichkeit aus ihr hinausgeflossen und nur Robustheit übrig
geblieben war.
Er untersuchte die
Taschenlampe und stellte fest, dass er es mit einer modernen Ausführung zu tun
hatte. Zumindest etwas. Er stellte sie auf die höchste Leuchtstufe ein und
reichte sie ihr. Nochmal sah er ihr tief in die Augen. Er sah Entschlossenheit
und Überlebenswillen. Er würde sich auf sie verlassen können. Sie knipste die
Lampe aus.
Wo blieb ihr
Exekutionskommando? Er trat auf den Flur und blickte zur Haupttreppe und weiter
zu den Diensträumen. Ganz schwach vermeinte er dort einen einzelnen fahlen
Lichtstrahl auszumachen, der im Rhythmus von Treppenstufen erklimmenden
Schritten wippte. Also hatte mindestens einer des Trios die schmale Treppe aus
der Eingangshalle gewählt, ganz wie er vermutet hatte.
Kurz darauf strichen zwei
weitere Geisterfinger über die Wand gegenüber der Haupttreppe. Vielleicht hatte
es deshalb so lange gedauert, bis sie kamen. Sie hatten erst noch nach
Taschenlampen gesucht. Dann erloschen die Lichter. Schemenhafte Dunkelheit
schluckte den Flur.
»Junge, du hast noch eine
Chance.« Xerxes‘ Stimme. Er musste auf dem Treppenabsatz stehen. »Gib uns das
Band, und du und das Mädchen könnt gehen. Gibst du uns das Band nicht, werden
wir es uns holen. Dann wird das nichts mit dem Überleben. Ich weiß, du bist
bewaffnet. Aber wir alle hier wissen, dass du nicht das Zeug zum Killer hast.
Sonst hättest du den Bullen umgelegt, anstatt ihn zu befreien. Aber das haben
wir glattgebügelt. Also gib uns das Band und wir alle gehen zufrieden nach
Hause. Gibst du es uns nicht, werden wir deine kleine Freundin töten. Schön
langsam. Du darfst dabei zusehen. Danach erst bist du an der Reihe.«
Daniel umklammerte die
Eisenstange wie ein Baseballspieler seinen Schläger, fühlte die geriffelte
Oberfläche, spürte den kalten Stahl in der Handfläche. Eben noch hatte sie ihm
Sicherheit gegeben, doch jetzt war das Gefühl verschwunden. Er fühlte sich
verwundbar und sterblich. Wie ein Reh auf einer Landstraße, beleuchtet von den
durchdringenden Halogenscheinwerfern eines heranrauschenden Lastwagens. Er
hatte das verdammte Band nicht. Auch Kurt hatte es nicht bei sich gehabt. Sagte
zumindest Marco. Wahrscheinlich hatte der Polizist es irgendwo im Keller
versteckt. Warum wollte Daniel nicht einleuchten, aber er hatte jetzt auch
keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Doch sollte er Xerxes
sagen, dass sie das Video nicht hatten? Nein. Was sollte das bringen? Glauben
würde der Rotäugige ihm nicht, und außerdem würde er seine ungefähre Position
verraten.
In diesem Moment wurde er
angerempelt, und Karla übernahm den Part mit dem Ausplaudern des Standorts.
»Verreck endlich, du
beschissener Freak!«
Auch wenn
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