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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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falschen Hals bekommen hatte. Aber mir fiel nichts ein. Gut, ich war anfangs auf ihre Bemerkungen zu Mark Winter nicht eingegangen. Ob es daran gelegen hatte? Aber nein, wir hatten uns den Rest des Abends gut verstanden. Sie hatte entspannt gewirkt.
    Ich stand auf. »Ich hole uns einen frischen Kaffee.« Natürlich hätte ich Michaela anrufen können, welchen zu bringen, aber ich hatte das Bedürfnis, der angespannten Atmosphäre zu entkommen. Warum war Mark Winter so nervös? Wenn jemand sich verspätete, konnte es doch eine Menge ganz simpler Erklärungen geben. Vanessa Ott war mit dem Auto unterwegs. Sie konnte im Stau stecken. Vielleicht hatte sie vergessen, ihr Handy einzuschalten.
    Ich ging in die kleine Mitarbeiterküche, öffnete weit das Fenster und atmete tief ein. Die Morgenluft war kühl, doch der wolkenlose, tiefblaue Himmel kündigte den nächsten heißen Sommertag an. Jetzt, im hellen Sonnenlicht, kam mir der Vorfall mit Vanessa Ott unwirklich vor. War das wirklich Blut gewesen? Hatte sie vielleicht eine Hautkrankheit, wegen der sie ihre Unterarme und Handgelenke immer verbarg?
    Ich schloss das Fenster. Michaelas benutzte Kaffeetasse stand in der Spüle, darauf in großen Lettern »Ich bin nicht perfekt« und darunter viel kleiner und in Klammern »aber verdammt nahedran«. Der Anblick des vertrauten Gegenstandes holte mich in die Wirklichkeit zurück. Michaela und ich hatten es uns angewöhnt, die erste Dosis Koffein gemeinsam in der Küche einzunehmen und dabei zu plaudern, meist über harmlose private Dinge. Anschließend setzten wir uns meist in mein Büro und gingen die Termine und Aufgaben des Tages durch. Doch seit die Unternehmensberater hier den Takt vorgaben, blieb für unsere netten, kleinen Rituale keine Zeit mehr.
    Als ich mit zwei Tassen Kaffee ins Büro zurückkam, saß Vanessa Ott am Tisch. Trotz ihres perfekt aufgetragenen Make-ups wirkte ihre Haut fahl, und um ihre Augen lagen dunkle Schatten. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihre Arme, doch die waren unter den langen Ärmeln einer Kostümjacke verborgen. Obwohl sie mich begrüßte und mir sogar ein kurzes Lächeln schenkte, als ich ihr meine Tasse hinstellte, lag eine spürbare Spannung in der Luft. Vanessa Ott vertiefte sich sofort in die Kostenaufstellungen, nannte verschiedene Summen, die einer besonderen Prüfung unterzogen werden sollten, und Mark Winter tippte sie in sein Notebook. Beide wirkten konzentriert wie immer, aber mir entgingen nicht die prüfenden Blicke, die Mark Winter auf seine Kollegin warf. Mit einer fahrigen Bewegung bündelte Vanessa Ott die Unterlagen und legte sie zur Seite. Dabei zuckte sie zusammen und sah auf ihren Finger. Aus einer hauchfeinen Linie quoll in Sekundenschnelle Blut hervor. Sie musste sich an einer Papierkante geschnitten haben. Ohne ein Wort stand sie auf und verließ den Raum. Einige Minuten verstrichen. Mark Winter starrte aus dem Fenster in den Himmel, sein Blick war leer.
    Â»Ich sehe mal nach Frau Ott«, sagte ich.
    Er reagierte nicht, schien mich nicht mal gehört zu haben. Als ich aufstand, wandte er abrupt den Kopf zu mir. In seinem Blick lagen Abwehr und eine Aggression, die ich nicht einordnen konnte. »Wenn Sie meinen, dass das nötig ist«, sagte er.
    Ich vermutete, dass Vanessa Ott zum Waschraum gegangen war, und öffnete die Tür. Es war nichts zu hören, aber in der Damentoilette war eine Kabine verriegelt.
    Â»Frau Ott?« Meine Stimme hallte durch den gekachelten Raum.
    Â»Was ist denn?«, hörte ich sie aus der Kabine.
    Â»Brauchen Sie etwas? Ein Pflaster vielleicht?«
    Die Tür wurde entriegelt, und sie kam heraus. »Es geht schon.« Wie zum Beweis hielt sie mir ihren Zeigefinger hin. Die Wunde blutete nicht mehr.
    Sie ging zum Waschbecken. In dem grellen Licht wirkte ihr Gesicht noch blasser. Ich tat so, als müsste ich auch auf die Toilette und trat in eine der Kabinen. Als ich die Tür schloss, sah ich, wie sie sich mit einer Hand auf dem Waschtisch abstützte. Der Wasserhahn rauschte, wurde abgestellt. Die nachfolgende Stille unterbrach ein dumpfes Geräusch, ein Poltern. Ich entriegelte die Toilettentür und sah hinaus. Vanessa Ott lag vor den Waschbecken auf dem Boden. Sie stöhnte und hielt sich den Kopf. Ich lief zu ihr und ging in die Hocke.
    Â»Frau Ott! Was haben Sie?« Als ich mich vorbeugte, sah ich die Panik in ihren

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