Die Beschützerin
geliebt hatte. Sie bewegte sich anmutig im Takt, mit einer flieÃenden Bewegung der Hüften, schien vollkommen in die Musik versunken zu sein. Sie wirkte so zart, so verletzlich. Mein Misstrauen gegen sie fühlte sich auf einmal lächerlich und falsch an. Diese Frau konnte kein Menschenleben auf dem Gewissen haben. Mir fiel auf, dass einige Männer sie beobachteten. Am liebsten hätte ich sie abgeschirmt gegen diese aufdringlichen Blicke. Ich wollte sie beschützen.
Sie wandte den Kopf und sah mich zurückkommen. Sie winkte mir zu. Dabei strahlte sie. Und noch etwas erstaunte mich: In ihrem Blick lag echte und warme Zuneigung. Es berührte mich. Ich drängelte mich weiter vor, bis ich wieder neben ihr stand.
»Sie haben Sebastians Solo verpasst«, rief sie. »SpitzenmäÃig.«
Es war zu laut, um zu antworten, und so nickte ich nur und berührte ihren Arm. Vanessa ergriff meine Hand und drückte sie.
Das Konzert verging wie im Flug. Nach der vierten Zugabe winkte Sebastian ab: Schluss für heute. Die Musiker verbeugten sich wieder und wieder, der Applaus wollte nicht abebben. Sebastian sah glücklich und entspannt aus. Er legte den Arm um die Hüfte der Sängerin und zog sie an sich. Sie küsste ihn, er drehte im letzten Moment den Kopf, und der Kuss landete auf seiner Wange. Bevor er von der Bühne ging, signalisierte er mir mit Handzeichen, dass ich noch bleiben sollte. Er hatte mich also doch bemerkt.
Alles drängte zum Ausgang. Auf der Höhe des Tresens blieb Vanessa Ott stehen. Ihre Wangen hatten nun Farbe. »Und jetzt? Lerne ich noch den Star des Abends kennen?«
»Auf jeden Fall.« Ich bestellte uns zwei neue Biere.
Der Raum leerte sich, nur noch etwa zehn Leute standen nahe der Bar. Wir waren nicht die Einzigen, die auf die Musiker warteten.
»Es war groÃartig. Ich hatte seit Langem nicht mehr so viel Spaë, schwärmte Vanessa Ott. »Ich werde ab sofort viel öfter in Konzerte gehen. Wenn Sie wollen, nehme ich Sie dann auch mit.«
»Gern, wenn Ihre Freunde mal keine Zeit haben.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde verschlossen. Sie hatte meinen kleinen Versuch, auf Distanz zu gehen, bemerkt. Um die unangenehme Stille zu überbrücken, sagte ich: »Ãbrigens, die Freikarten für heute verdanken wir eigentlich Sebastians kleinem Sohn.«
Vanessa Ott zog fragend die Augenbrauen hoch.
Ich erzählte ihr von meinen Begegnungen mit Benni. »Er scheint Sebastians Talent geerbt zu haben. Er spielt schon jetzt sehr schön Geige.«
»Und wo steckt die Mutter?«
»Keine Ahnung, Sebastian und der Kleine scheinen allein zu leben.«
Spontaner Applaus brach aus. Ich wandte mich um. Die Musiker kamen zurück. Sebastian begrüÃte Freunde, verteilte Wangenküsse. Er plauderte kurz mit zwei jungen Männern, legte dem einen die Hand auf die Schulter und sagte ihm etwas ins Ohr. Der Freund sah zu mir herüber. Dann kam Sebastian auf uns zu. »Hallo Nachbarin!«
»Janne.«
»Ach ja, richtig.« Sebastian schüttelte mir die Hand. »Super, dass du kommen konntest.«
»Ich habe eine Bekannte mitgebracht.«
Vanessa Ott stellte sich selbst vor und betonte, wie gut es ihr gefallen habe. Sebastian musterte sie. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Vanessa erwiderte seinen Blick. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Ihr bleibt doch noch?«, fragte Sebastian. »Ich brauche nur schnell was zu trinken.«
Eine Kellnerin balancierte ein Tablett mit frisch gezapften Bieren. Sebastian nahm sich eines, stürzte es fast auf Ex herunter.
»Kommt mit, ich stelle euch die anderen vor.«
Die Sängerin, die Elena hieÃ, und der Pianist, Carl, erzählten, dass Sebastian die meisten der gespielten Stücke selbst komponiert hatte.
»Das einzig wahre Talent unter uns!« Carl schlug Sebastian auf die Schulter. »Leider macht er nichts draus.«
»Wieso nicht?«, fragte ich.
»Ach, das ist nicht so einfach«, sagte Sebastian.
»Das ist sogar sehr einfach«, mischte sich Elena ein. »Du musst dich nur trauen, deine Stücke bei den Wettbewerben einzureichen. Die renommierten Festivals. Montreux oder Rotterdam.« Sie wandte sich uns zu. »Er komponiert auch für Big Bands und groÃe Orchester, tolle Sachen. Die liegen fertig in der Schublade. Die müsste er auch den Rundfunkanstalten mal schicken, der WDR - oder NDR -Bigband. Aber
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