Die Beschützerin
Schokolade am Stück zu verdrücken. Natürlich nicht ohne Folgen. Meine Mutter hatte mir prophezeit, dass ich die Pfunde niemals wieder loswerden würde. Weder vor noch nach dieser Phase hatte ich jemals wieder so viel Aufmerksamkeit von ihr bekommen.
Zum Glück behielt sie nicht recht mit ihren düsteren Prognosen über meine verpfuschte Zukunft als Fettleibige, sondern mein Körper löste das Problem von allein, indem er sich in einem Wachstumsschub streckte und wieder normal und schlank wirkte. Und mein Vater schien nach der Chemotherapie geheilt zu sein. Wie sehr wir uns alle getäuscht hatten.
Michaela blickte auf das Essen der Unternehmensberater. »Soll ich Frau Ott Bescheid sagen?«
Sven grinste. »Unbedingt, ihr Grünzeug wird kalt.«
Ich war eifersüchtig. Warum genossen sie nicht einfach, dass wir endlich mal wieder unter uns waren? Die Stimmung war locker und entspannt. Wieso wollte Michaela das zerstören? Denn sobald die Unternehmensberater im Raum waren, würden alle wieder verkrampfen. Sei nicht ungerecht, ermahnte ich mich, jeder versucht, sich gut mit ihnen zu stellen. Ich tat ja selbst nichts anderes, verbrachte sogar meine Freizeit mit Vanessa Ott.
»Vielleicht ist Frau Ott nicht nach essen zumute«, sagte ich. »Ihr ging es heute Morgen nicht so gut.«
»Wieso?«, fragte Michaela.
»Ihr war schwindelig. Es sah aus wie eine Kreislaufschwäche.«
»Na, ich schaue mal, wo sie bleibt.« Michaela stand auf.
»Wenn du meinst â¦Â«
Michaela war kaum um die Ecke verschwunden, da kamen Vanessa Ott und Mark Winter herein.
»Guten Appetit«, wünschten sie und setzten sich.
»Ist das hier meiner?« Vanessa Ott zeigte auf den Salat in der Mitte des Tisches.
»Ja. Warten Sie, hier liegt Ihr Besteck.« Sven reichte es ihr. Vanessa Ott zog den Salat zu sich heran, sortierte Schafskäsestückchen an den Rand und spieÃte eine Gabel voll Salatblätter auf.
»Möchten Sie auch Mineralwasser?«, fragte Sven.
»Ich hole schnell Gläser.« Heike ging in Richtung Teeküche.
Das servile Getue ärgerte mich, ohne dass ich genau sagen konnte, warum. Mir fiel das Gespräch ein, das Vanessa Ott mit Sven auf Oderthals Abschiedsfeier geführt hatte. Svens ernster Gesichtsausdruck.
Michaela kam zurück. »Ach, da sind Sie schon. Ich war oben, um Sie zu holen. Geht es Ihnen wieder besser?«
»Mir?«
»Na ja, Janne, also ich meine Frau Amelung, sagte, dass Sie heute Morgen â¦Â«
Vanessa Ott blickte mich an, und ihre Augenbrauen hoben sich. »Ich weià nicht, was Frau Amelung meint. Mir geht es ausgezeichnet.«
Einen Moment lang entstand ein peinliches Schweigen.
»Das freut mich«, sagte ich. »Entschuldigen Sie, ich dachte â¦Â«
»Nein, kein Problem, ich finde es nett, dass Sie sich um mich sorgen.« Sie schaute die anderen an, ohne ein Lächeln. »Seien Sie froh, eine so sensible und aufmerksame Chefin zu haben. Sie kümmert sich wirklich um jeden.«
Die anderen schienen nicht zu wissen, was sie entgegnen sollten. Gleich würde Sven eine lustige Bemerkung machen, oder jemand anderes etwas erzählen, das die merkwürdige Stimmung vertrieb. Doch niemand sagte etwas.
Auf dem Rückweg zu meinem Büro kam mir Helmut Eichstätt entgegen. Er grüÃte mich, als würde er mich nicht erkennen, und steuerte auf von Hirtens Vorzimmer zu. Ich selbst hatte meinen Chef seit seiner Rückkehr noch nicht gesehen, dabei wäre es das Normalste gewesen, sich von mir informieren zu lassen, wie es mit Bloomsdale bisher gelaufen war und auf welchem Stand sich die Unternehmensberater befanden. Dass er mich überging, war kein gutes Zeichen.
Ich suchte Michaela, sie war noch nicht an ihrem Schreibtisch. Kurze Zeit später sah ich sie mit einem Tablett aus der Küche kommen. Sie ging ebenfalls zu von Hirtens Büro. Gab es einen Termin, den ich übersehen hatte? Ich rief meinen Kalender auf. Nichts war eingetragen. Ich hatte den Nachmittag freigehalten für das Bloomsdale-Team.
Ich passte Michaela ab, als sie zurückkam. »Was ist los? Wo sind Vanessa Ott und Mark Winter?«
»Bei von Hirten.«
»Mit Dr. Eichstätt? Was ist denn das für ein Termin?«
Michaela rieb ihr Ohrläppchen. »Keine Ahnung. Vorhin rief von Hirten mich an. Er wollte wissen, ob du mit Winter und Frau Ott zusammensitzt. Ich sagte, du seist gerade
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