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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Augen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich unter hastigen Atemstößen.
    Â»Was ist passiert? Kann ich Ihnen helfen?«
    Â»Mein Kreislauf«, murmelte sie. Ich ging auf die Knie und legte meinen Arm um sie, wollte ihr Halt geben. Unter dem Stoff der Jacke fühlte ich ihre Schulterknochen hervorstehen. Sie lehnte sich an mich und schloss die Augen. Sie wirkte wie ein hilfloses Kind, und sie tat mir leid. Aber die körperliche Nähe zwischen uns war mir zu viel. Ich war unsicher, wie ich mich verhalten sollte. In meinem Kopf hörte ich Ullas Stimme: »Bleib auf Distanz zu diesen Unternehmensberatern.«
    Â»Können Sie aufstehen? Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Ich fasste unter ihre Arme und zog sie hoch. Sie hielt sich an der Kante des Waschbeckens fest. Ihre Bewegungen waren unsicher. Mit einer Hand griff sie nach ihrer Handtasche, bekam aber den Bügel nicht zu fassen. Die Tasche fiel herunter, Gegenstände verteilten sich auf dem Boden. »So ein Mist!«, fluchte sie.
    Ich bückte mich, um den Inhalt einzusammeln. Schlüsselbund, Portemonnaie, Lippenstift, ein zierliches Taschenmesserset. Ich hatte auch früher so eines besessen und leider verloren, wusste aber noch, dass sich eine Menge praktischer kleiner Werkzeuge daran befanden. Eine Nagelfeile, eine winzige Schere und ein Messer, das erstaunlich scharf gewesen war. Ich öffnete die Tasche, um die Sachen hineinzulegen. Zwei größere Schachteln waren nicht herausgefallen. In der einen waren Vitamintabletten, auf der anderen stand »Tavor«. Ich kannte den Namen, ein Beruhigungsmittel bei Angst und Panikstörungen. Mein Vater hatte es genommen, nachdem ihm die Ärzte gesagt hatten, dass seine Krebserkrankung unheilbar war.
    Ich stellte die Tasche auf die Tischplatte und sah, dass es Vanessa Ott immer noch Mühe kostete, sich aufrecht zu halten.
    Â»Geht es?«
    Â»Ich bin froh, dass Sie da sind.« Sie sah mich mit einer Warmherzigkeit und Dankbarkeit an, die mich ins Herz traf. »Es war ein schöner Abend gestern. Ich wollte nicht … Ich wollte es nicht verderben.«
    Â»Aber das haben Sie nicht«, sagte ich. »Ich hab den Abend auch sehr genossen. Und jetzt fahren Sie am besten zum Arzt. Ich rufe ein Taxi.«
    Â»Nein, nicht nötig. Ab und zu macht mein Kreislauf morgens schlapp. Ich hab schon ein Medikament genommen. Es muss gleich wirken.«
    Wir gingen zurück zum Besprechungsraum. Mark Winter stand auf, als er uns kommen sah. Er rückte Vanessa Otts Stuhl zurecht, beobachtete, wie sie sich setzte, und blieb hinter ihr stehen. Sein Blick traf mich, und ich erschrak. Es war nicht Wut, die ich in seinen Augen sah: Es war der blanke Hass.
    Michaela saß hinter dem Stapel Pizzakartons am Konferenztisch und verlas die Kritzeleien auf den Deckeln. »Vegetaria ohne Zwiebeln. Sven, für dich. Spinaci?«
    Â»Meine.« Ich nahm meine Pizza entgegen. »Danke.«
    Â»Hawaii?«
    Â»Die kriegt Mark Winter.«
    Â»Der Rest ist Hasenfutter.« Michaela verteilte diverse Salate an die Frauen am Tisch, die lieber auf die üppig mit Käse belegten Kalorienbomben verzichteten. Der Salat für Vanessa Ott und Mark Winters Pizza blieben in der Mitte übrig. Die Unternehmensberater wollten etwas später nachkommen.
    Â»Ich kann das Zeug vom Italiener nicht mehr sehen«, meinte Michaela.
    Â»Wir könnten doch mal wieder Sushi bestellen«, schlug Heike vor.
    Â»Gute Idee. Wie lange wird die Kantine eigentlich noch renoviert?«, fragte Michaela.
    Â»Noch mindestens zwei Wochen«, gab Sven zurück. »Es sei denn, sie wird eingespart. Warten wir mal ab, was Bloomsdale Consulting sagt.«
    Â»Genau, verschlanken wir nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter«, meinte ich.
    Â»Na, mir würde es guttun«, sagte Heike kauend. Alle lachten.
    Sven reichte ihr ein Pizzabrötchen. »Los, kommt, genießen wir die fetten Zeiten, solange wir noch können!«
    Â»Gib es Janne. Die kann essen, was sie will, und man sieht’s hinterher nicht.«
    Â»Von wegen.« Es stimmte zwar, dass ich beim Essen keine Kalorien zählte, aber ein wenig aufpassen musste auch ich auf meine Figur. Als Teenager hatte ich mal Gewichtsprobleme gehabt, aber das wussten die anderen natürlich nicht. Zu dieser Zeit waren bei meinem Vater erste Metastasen gefunden worden. Ich war zwölf oder dreizehn gewesen und hatte angefangen, Dreihundert-Gramm-Tafeln

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