Die besten Freunde meines Lebens - Roman
auch nie ihrer Schwester die Meinung geigte. Und sich nie ordentlich mit ihrer Mutter gefetzt hatte. Die handfeste Auseinandersetzung, die mit neunzehn, zwanzig angestanden hätte, war irgendwie im Sande verlaufen.
Also besichtigte sie unzählige Pflegeheime, jedes noch deprimierender als das vorhergehende, und beauftragte dann einen Immobilienmakler mit dem Verkauf des Elternhauses, damit das Heim bezahlt werden konnte. Gewissenhaft informierte Lizzie ihre Schwester über jeden einzelnen Schritt, damit Karen immer auf dem Laufenden war. Und jedes Mal war Karen gerade zu beschäftigt mit ihrer Arbeit oder mit ihrem Mann und den Kindern, um sich ein paar Tage freizuschaufeln und Lizzie zu helfen.
Erst als Lizzie drohte, jedes noch verbliebene Möbelstück an die Wohlfahrt zu geben, nahm sich Karen unbezahlten Urlaub von ihrem Job an der Wall Street. Sie stieg für zwei Tage im Gatwick Hilton ab, versuchte systematisch jede Entscheidung, die Lizzie getroffen hatte, zu »korrigieren« und war zutiefst gekränkt, weil ihre Mutter sie nicht wiedererkannte. Nein, Lizzie war sich ziemlich sicher, dass Karen nicht so bald zurückkommen würde. Und wer konnte ihr das verübeln? Lizzie wünschte nur, sie hätte dieselbe Option.
In gewisser Weise war sie froh über Karens Fernbleiben. Manchmal war es einfacher, wenn man alles selber machte … Sie fuhr auf die M23, gab Gas und merkte, wie ihre Stimmung wieder stieg. Sie hatte es hinter sich gebracht.
Im CD-Player lief die Musik der Stone Roses, das frühe Album mit all den guten Stücken. Nicht wirklich ihre Musik, sondern die eines ehemaligen Freundes an der Uni. Irgendwie hatte sie seinen Musikgeschmack als ihren eigenen übernommen und sich von da an musikalisch nie weiterentwickelt.
Mum war heute besonders schlimm gewesen.
»Ist es nicht nett von Kathleen, dass sie mich besuchen kommt?«, hatte sie gesagt, bevor sie in eines ihrer langen und komplizierten Selbstgespräche verfallen war. Es war schon komisch. Mum war nie schwatzhaft gewesen. Und jetzt war ihr Redefluss gar nicht mehr zu stoppen.
Janet, die Leiterin des Pflegeheims, hatte entschuldigend mit den Schultern gezuckt. Und wie um zu sagen: Lässt sich ja nicht ändern, hatte Lizzie das Schulterzucken erwidert. Wenn schon Janet nicht weiterwusste, dann Lizzie erst recht nicht.
Kathleen war die Cousine ihrer Mutter und seit zehn Jah ren tot. Lizzie war nun bereits seit Monaten Kathleen. Anfangs hatte sie geglaubt, ihre Mutter mache das absichtlich, um Lizzie zu bestrafen, weil sie nicht Karen war. Inzwischen wusste sie jedoch, dass es an der Krankheit lag.
Das nächste Telefongespräch mit Karen würde unange nehm werden. Lizzie musste ihr beibringen, dass man im The Cedars der Meinung sei, Mum benötige spezielle Pflege. Was im Klartext teurere Pflege bedeutete.
»Und was ist mit dem staatlichen Gesundheitswesen?«, würde Karen sagen. Und Lizzie würde antworten: »Sie werden erst dann für Mum zahlen, wenn wir es uns nicht mehr leisten können.«
Und Karen würde sagen: »Wir können es uns schon jetzt nicht mehr leisten.«
So vorhersehbar. So sinnlos. Warum sich also darüber den Kopf zerbrechen? Weil Karen die ältere war, deshalb. Es war schon immer so gewesen, Lizzies ganzes Leben lang.
Als Lizzie an der Kreuzung in die Sackgasse einbog, stellte sie fest, dass ihr Haus mit den drei Schlafzimmern im Dunkeln lag, das einzige nicht erleuchtete Haus in der Reihe der exklusiven Fünf-bis-sechs-Zimmer-Häuser im New-England-Stil. Alle waren zu Hause und vertrieben sich den Abend mit was auch immer. Fernsehen, Dinnerpartys, zu viel Weißwein.
Gerrys silbergrauer Audi Quattro stand nicht an seinem Platz.
Lizzie wusste, sie sollte es Gerry eigentlich übel nehmen, dass er sie nicht mit einem liebevollen Willkommensgruß erwartete. Stattdessen fühlte sie sich einfach nur erleichtert. Sie stellte den Wagen vor der metallisch glänzenden Garagentür ab, schnappte sich ihre Handtasche vom Beifahrersitz, sperrte den Wagen ab und wartete, bis die blinkenden Lichter die Aktivierung der Alarmanlage anzeigten. Etwas Zeit für sich zu haben war selbst an einem Sonntagabend nicht unbedingt das Schlechteste. Sie könnte ihrer geheimen Leidenschaft für das TV -Magazin Countryfile frönen und sich eine Flasche eisgekühlten Weißwein aufmachen, anstatt den Rioja zu trinken, den Gerry bevorzugte.
Sie könnte Weißwein trinken, das Bad in Beschlag nehmen und das ganze heiße Wasser verbrauchen. Ja, sie könnte sich
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