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verkauft hatte, die aus Phenothiazin bestand. Dann wissen sie Bescheid, erkannte er. Sie werden mich beobachten, werden mißtrauisch sein. Faktisch gesehen habe ich kein Gesetz gebrochen, aber – sie werden mich trotzdem beobachten.
Andererseits wurde man immer beobachtet. Allmählich entspannte er sich bei dem Gedanken. Im Laufe der Jahre hatte er sich, wie jeder andere, an diesen Zustand gewöhnt.
Ich werde den Absoluten Wohltater des Volkes sehen, wie er wirklich ist, sagte er sich. Was vermutlich bisher noch niemandem gelungen ist. Was mag er wohl sein? Welche der Nicht-Halluzinationen trifft zu? Vielleicht sehe ich auch etwas völlig anderes… etwas, das mich überwältigen wird. Wie soll ich weiterleben, wie meine Pflicht erfüllen, wenn er wirklich der Gestalt gleicht, die ich auf dem Bildschirm gesehen habe? Was ist er – der Zerstörer, der Klapperer, der Vogel, die Kletterröhre, oder noch etwas Schlimmeres?
Er fragte sich, wie wohl die anderen Bilder auf ihn wirken mochten… und dann hörte er auf zu spekulieren; es hatte keinen Sinn. Und es ängstigte ihn.
Am nächsten Morgen erwarteten ihn Mr. Tso-pin und Mr. Darius Pethel in seinem Büro; beide wirkten ruhig, konnten aber ihre Spannung nicht verhehlen. Wortlos händigte er ihnen eine der beiden »Prüfungsarbeiten« aus. Die orthodoxe, die jenes kurze und herzzerreißende arabische Gedicht enthielt.
»Dies«, begann Chien mit fester Stimme, »ist die Arbeit eines überzeugten Parteimitglieds oder eines Kandidaten, der um seine Aufnahme in die Partei ersucht hat. Das jedoch…« Er wedelte mit den übrigen Unterlagen. »Reaktionäres Gewäsch.« Zorn erfüllte ihn. »Trotz der oberflächlichen…«
»Schon gut, Mr. Chien«, unterbrach Pethel und nickte beifällig. »Es ist nicht nötig, jede Einzelheit genau zu analysieren. Ihre Beurteilung ist richtig. Sie haben gestern abend in der Fernsehrede des Führers gehört, daß er Ihren Namen erwähnt hat?«
»Ja, natürlich«, versicherte Chien.
»Also haben Sie auch zweifellos erkannt«, fuhr Pethel fort, »daß von den Dingen, die wir hier vorbereiten, sehr viel abhängt. Der Führer hat ein Auge auf Sie geworfen; das dürfte klar sein. Und um es genau zu sagen, er hat sich mit mir hinsichtlich Ihrer Person in Verbindung gesetzt.« Er öffnete seine prallgefüllte Aktentasche und suchte darin herum. »Offenbar habe ich das gottverdammte Ding verloren. Nun, jedenfalls…« Er blickte Tso - pin an, der mit einem knappen Nicken antwortete. »Seine Hoheit wünscht, daß Sie am nächsten Donnerstag zu ihm auf die Jangtse - Ranch kommen und mit ihm zu Abend essen. Insbesondere würde es Mrs. Fletcher freuen…«
»Mrs. Fletcher?« unterbrach Chien. »Wer ist diese ,Mrs. Fletcher’?«
Nach einer Pause erklärte Tso - pin trocken: »Die Frau des Absoluten Wohltäters. Sein Name – den Sie natürlich noch nie gehört haben – lautet Thomas Fletcher.«
»Er ist ein Weißer«, bestätigte Pethel. »Ursprünglich war er Mitglied der Kommunistischen Partei von Neuseeland; er hat den dortigen Umsturz vorbereitet. Diese Information ist im Grunde kein Geheimnis, aber auf der anderen Seite ist es auch nicht erforderlich, darüber zu reden.« Er brach ab und spielte mit seiner Uhrkette. »Vermutlich wäre es besser, wenn Sie vergessen würden, daß wir davon gesprochen haben. Natürlich, sobald Sie ihn sehen, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, werden Sie erkennen, daß er ein Weißer ist. So wie ich. Wie viele von uns.«
»Die Rasse«, stellte Tso - pin fest, »hat nichts zu tun mit der Loyalität zum Führer und zur Partei. Mr. Pethel hier ist ein Beispiel dafür.«
Auf dem Bildschirm wirkt er nicht wie ein Abendländer. »Im Fernsehen…« begann er.
»Das Bild«, unterbrach Tso-pin, »wird durch geschickte technische Manipulationen erzeugt. Aus ideologischen Gründen. Die meisten Personen in den höheren Positionen sind darüber informiert.« Er warf Chien einen tadelnden Blick zu.
Also sind sie sich alle einig, durchfuhr es Chien. Was wir jeden Abend sehen, ist nicht die Wirklichkeit. Bleibt die Frage: Wie unwirklich ist es dann? Teilweise? Oder völlig künstlich?
»Ich werde mich darauf vorbereiten«, erklärte er unterwürfig. Und er dachte: Das war ein Versehen. Sie waren nicht darauf vorbereitet – jene Leute, die Tanya Lee repräsentiert –, daß ich schon so bald eine Einladung bekommen würde. Was ist mit dem Antihalluzinogen? Ob sie es mir noch zukommen lassen können?
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