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Die besten Stories

Die besten Stories

Titel: Die besten Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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erklärte Chien automatisch, und er folgte ihrem Blick und sah den Absoluten Wohltäter den Raum betreten.
    Das, was durch den Festsaal schritt und sich dem Tisch in der Mitte näherte, war kein Mensch.
    Und es war auch nicht, wie Chien erkannte, ein mechanisches Gebilde; nicht das, was er auf dem Fernsehschirm erblickt hatte. Offenbar war das nur ein Gerät gewesen, das die Reden hielt – ähnlich wie Mussolini einen künstlichen Arm benutzt hatte, um bei langen und anstrengenden Paraden bis zuletzt salutieren zu können.
    Gott, dachte er, und Übelkeit erfaßte ihn. War dies das Meeresungeheur, von dem Tanya Lee gesprochen hatte? Aber es besaß keine feste Gestalt. Keine Pseudopodien, ob nun aus Fleisch oder aus Metall. In gewissem Sinne existierte es nicht einmal; als er sich dazu überwand, es direkt anzusehen, verschwamm die Gestalt in ein undefinierbares Gebilde, wie ein Nebel. Er konnte hindurchschauen und die Menschen auf der gegenüberliegenden Seite des Saales erkennen – aber nicht mehr dieses Etwas. Wenn er den Kopf drehte und es aus den Augenwinkeln heraus betrachtete, dann nahm er wieder seine Umrisse wahr.
    Es war schrecklich; seine Ungeheuerlichkeit lähmte ihn. Während es sich bewegte, sog es das Leben der Menschen nacheinander in sich auf; es fraß jene, die sich um es versammelt hatten, bewegte sich weiter und fraß und fraß mit unersättlichem Appetit. Es haßte; er fühlte diesen Haß. Es verachtete: er spürte, daß es jeden der Anwesenden verachtete – und er teilte diese Verachtung sogar. Plötzlich hatte er den Eindruck, daß er und alle anderen Menschen hier nur Schnecken waren, die sich in ihre Häuser verkrochen hatten, und dieses Geschöpf saugte sie in sich auf und hinterließ lediglich leere Schneckenhäuser, über die es hinwegschritt, sie zermalmte, sich nach rechts und links bewegte, aber sich ihm dabei zielbewußt näherte – oder war dies eine Illusion?
    Wenn das eine Halluzination ist, dachte Chien, dann ist es die schrecklichste, die ich jemals gehabt habe; wenn dies jedoch keine Halluzination ist, dann ist diese böse Kreatur Wirklichkeit – ein grausiges Geschöpf, das tötet und verletzt. Er sah die Spur aus zertretenen, zerquetschten Männern und Frauen, die es hinterließ; er sah, wie sie versuchten, wieder zu Sinnen zu kommen und ihre verkrüppelten Körper zu beherrschen, hörte, wie sie sich abmühten, verständlich zu sprechen.
    Ich weiß, wer du bist, dachte Tung Chien. Du, das Oberhaupt der weltweiten Parteiorganisation. Du, der du alle Lebewesen vernichtest, die du berührst. Ich sehe das arabische Gedicht vor mir, in dem du die Menschenwunden schlägst – ich sehe dich über die Ebene streifen, die unsere Erde für dich ist, eine Ebene ohne Berge, ohne Täler. Du gehst überallhin, du erscheinst jederzeit, verschlingst alles; du erschaffst das Leben und zerstörst es dann, und du erfreust dich daran. Er dachte: Du bist Gott.
    »Tung Chien«, erklang die Stimme, aber sie sprach direkt in seinem Kopf, kam nicht von dem mundlosen Gespenst, das vor ihm auftauchte. »Ich freue mich, dich wiederzutreffen. Du weißt nichts. Geh fort. Ich habe kein Interesse an dir. Warum sollte ich mich auch um Schleim kümmern? Ja, Schleim, denn ich bin davon umgeben, muß ihn ausscheiden, und ich habe es so gewollt. Ich könnte dich zertreten; ich könnte selbst mich vernichten. Ich schreite über scharfe Steine; ich habe spitze Dinge über den Schleim verstreut. Ich erschaffe die Verstecke, die tiefen Schluchten, es kocht in mir und dringt heraus und nimmt Gestalt an; für mich sind die Meere so durchsichtig wie Glas. Die Fasern meines Fleisches sind mit allem verbunden. Du bist ich. Ich bin du. Es ist gleichgültig, wie es auch gleichgültig ist, ob jene Kreatur mit den leuchtenden Brüsten nun ein Mädchen oder ein Junge ist; du könntest lernen, dich an beiden zu erfreuen.« Es lachte.
    Er konnte nicht glauben, daß es zu ihm sprach; er konnte sich nicht vorstellen – denn es war zu schrecklich –, daß es ihn auserwählt hatte.
    »Ich habe jeden auserwählt«, erklärte es. »Niemand ist zu unbedeutend; jeder fällt und stirbt, und ich bin da, um alles zu beobachten. Ich brauche nur zuzusehen; alles geht automatisch, denn so wurde es eingerichtet.« Und dann sprach es nicht mehr mit ihm, sondern löste sich auf. Aber er sah es noch immer; er spürte seine vielfältige Gegenwart. Es war eine Kugel, die im Raum hing und fünfzigtausend Augen besaß oder eine Million –

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