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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wollte, dann lieber gleich. Drei Tage lang hielt dieser denkwürdige Umzug den Corridor in Aufregung. Selbst die kleine, dünne Frau Moulin, die man nie kommen und gehen sah, betheiligte sich, indem sie Séverine’s Arbeitstisch von einer Wohnung in die andere trug. Philomène aber war ganz in ihrem Element. Sie hatte gleich in der ersten Minute ihre Hilfe angeboten, sie schnürte Bündel, schleppte und rückte die Möbel und besetzte die Vorderwohnung, noch ehe ihre Bewohnerin sie verlassen hatte. Sie war es, die Frau Lebleu aus ihrem Heim trieb, während beider Mobiliar noch einen unentwirrbaren Knäuel bildete, denn Alles war untereinander gekommen. Sie entwickelte für Jacques und alles, was er liebte, einen so auffallenden Eifer, daß in dem erstaunten Pecqueur ein Verdacht aufstieg. Er fragte sie mit seiner rachsüchtigen Trunkenboldsmiene, ob sie jetzt mit seinem Maschinenführer schliefe, er wolle sie nur warnen, sich nicht abfassen zu lassen, denn sonst würde er mit ihnen Beiden abrechnen. Ihr Herz schlug noch stärker wie sonst für Jacques, sie wollte ihm und seiner Geliebten dienen in der stillen Hoffnung, dadurch, daß sie sich zwischen Beide drängte, auch etwas von ihm zu haben. Als sie den letzten Stuhl herübergeschleppt hatte, flog die Thür zu. Plötzlich bemerkte sie noch einen von der Kassirersfrau vergessenen Puff, sie öffnetedie Thür wieder und warf ihn auf den Corridor. Der Umzug war vorüber.
    Nun nahm das Leben allmählich wieder seinen monotonen Verlauf. Während die Gicht Frau Lebleu in ihren Sessel in der Hofwohnung bannte, wo sie zu sterben glaubte und mit dicken Thronen in den Augen nichts weiter sah, als das den Himmel abschließende Zinkdach, saß Séverine an einem Fenster der schönen Vorderwohnung und stickte an ihrem nicht fertig werdenden Fußkissen. Unter ihr das fröhliche Leben des Auffahrtplatzes, der ununterbrochene Strom der Fußgänger und Wagen. Schon schmückte der vorzeitige Frühling die Spitzen der großen, die Bürgersteige umsäumenden Bäume mit jungem Grün. Darüber hinaus entrollten die fernen Ufer von Ingouville ihre buschigen, von weißen Landhäusern unterbrochenen Abhänge. Und doch war sie überrascht, so wenig Freude an der Erfüllung ihres Traumes, an ihrer so heiß begehrten Wohnung voller Licht, Leben und Sonne zu empfinden. Die Mutter Simon brummte, weil sie ärgerlich war, in ihren Gewohnheiten gestört zu sein und auch sie wurde zeitweilig ungeduldig und vermißte ihr einstiges Loch, in welchem man wenigstens den Schmutz weniger sah. Roubaud hatte ihr vollständig den Willen gelassen. Er schien mitunter garnicht zu wissen, daß sein Nest ein anderes geworden war, oft irrte er sich und wunderte sich höchlichst, daß sein Schlüssel nicht in das alte Schloß paßte. Im Uebrigen nahm der Verfall der Wirtschaft seinen Fortgang, er erschien immer seltener in der Wohnung. Eine kurze Zeit schien er unter dem Erwachen seiner politischen Gedanken wieder aufzuleben; natürlich brannten sie ihn nicht, denn er vergaß keinen Augenblick die Geschichte mit dem Unterpräfecten, die ihm beinahe die Stellung gekostet hatte. Aber seit das durch die allgemeinen Wahlen erschütterte kaiserliche Regiment eine fürchterliche Krisis durchmachte, triumphirte er, er wiederholte gern, daß diese Leute glücklicher Weise nicht immer die Herren bleiben würden. Uebrigens genügte ein freundschaftlicher Wink von Herrn Dabadie, dem es durch Fräulein Guichon gesteckt worden war, ihn zu beruhigen. Jetzt, wo Frau Lebleu, von der Trauer getödtet, täglich schwächer wurde und das Leben im Corridor ruhig und einträchtig dahinfloß, warum neue Verdrießlichkeiten heraufbeschwören, noch dazu derRegierung wegen. Roubaud mokirte sich im Grunde genommen über die Politik so gut wie über alles Andere! Ohne Gewissensbisse zu empfinden und täglich fetter werdend, ging er mit gleichgültigem Rücken leisen Schrittes seinen eigenen Weg.
    Seit Jacques und Séverine sich stündlich sehen konnten, war ihre beiderseitige Scham gewachsen. Jetzt hinderte nichts mehr ihr Glück; er konnte auf der anderen Treppe zu ihr gelangen, so oft es ihm beliebte und ohne Furcht belauscht zu werden. Die Wohnung gehörte ihnen, er hätte sogar dort schlafen können, wenn er die Kühnheit gehabt hätte, aber diese gewollte, von beiden gebilligte und trotzdem unerfüllte und nicht durchgeführte That hatte eine unüberschreitbare Mauer zwischen Beiden aufgerichtet. Ihn drückte die Schande seiner

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