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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Schwachheit, er fand sie jedesmal verstimmter und unglücklicher über das unnütze Warten. Selbst ihre Lippen suchten sich nicht mehr, denn diesen halben Besitz hatten sie bis zur Hefe ausgekostet. Es gab für sie nur noch ein einziges Glück, die Abfahrt, die Heirath da drüben und ein neues Leben.
    Eines Abends fand Jacques Séverine in Thränen. Als sie ihn sah, hing sie sich an seinen Hals und schluchzte noch stärker wie zuvor. Sie hatte schon öfter so geweint, doch hatte seine Umarmung sie bisher noch stets beruhigen können. Doch je stärker er sie diesmal an sein Herz drückte, um so stärker schien ihre Verzweiflung sich zu äußern. Er wußte nicht, was er mit ihr beginnen sollte und nahm ihren Kopf zwischen seine beiden Hände. Er sah ihr tief in die feuchten Augen und verstand, warum sie so verzweifelte. Sie bedauerte es, eine Frau zu sein und daß es ihre duldsame Milde nicht zuließ, selbst zu morden.
    »Verzeihe mir und warte noch ein wenig. Ich schwöre Dir, es soll bald geschehen, sobald ich kann.«
    Sofort ruhte ihr Mund auf dem seinen, als wollte sie diesen Schwur dort besiegeln. Und wieder küßten sie sich so innig und so ewig, als flösse ihr ganzes Sein durch diese Brücke ihres Fleisches ineinander.
     

Zehntes Kapitel
    Tante Phasie war am Donnerstag Abend um neun Uhr einem letzten Krampfanfalle erlegen. Vergebens hatte der an ihrem Bette wachende Misard versucht, ihr die Augen zu schließen: sie blieben hartnäckig offen, der starre Kopf hatte sich ein wenig auf die Schulter geneigt, als beobachtete er die Vorgänge im Zimmer, während die etwas verzerrten Lippen ein schalkhaftes Lächeln heuchelten. Neben ihr brannte auf einer Tischecke ein einziges Licht. Und die seit neun Uhr mit voller Schnelligkeit vorüberfahrenden Züge ahnten nichts von dieser noch warmen Todten; während das Licht aufflackerte, machten sie sie eine Stunde hindurch erzittern.
    Misard wollte Flore los sein und hatte sie deshalb sofort nach Doinville geschickt, um Anzeige von dem Ableben zu machen. Vor elf Uhr konnte sie nicht zurück sein, er hatte also zwei Stunden für sich. Er schnitt sich zunächst in aller Gemüthsruhe eine Scheibe Brod ab, er hatte in Folge des lange währenden Todeskampfes nichts essen können und fühlte jetzt in seinem Magen eine große Leere. Er aß, während er auf und ab ging und hier und dort die Sachen rückte. Plötzliche Hustenanfälle hemmten seinen Schritt, so daß er sich krümmte; er sah selbst aus wie ein halber Todter, so mager, so erbärmlich mit seinen farblosen unterlaufenen Augen, man sah, er würde sich nicht mehr lange seines Sieges freuen. Und doch er hatte richtig dieses große, schöne Weib aufgegessen, wie ein eine Eiche auffressendes Insect, sie lag jetzt auf dem Rücken, ein Nichts und er dauerte noch.Er erinnerte sich plötzlich an etwas, er bückte sich und zog eine Schüssel unter dem Bett hervor, in welcher sich noch ein Rest von Kleiewasser befand, das man der Todten für eine Waschung zurecht gemacht hatte. Seit sie seinen Plan gemerkt, mischte er das Gift nicht mehr unter das Salz, sondern in das Waschwasser. Sie war zu dumm, um nach dieser Seite Mißtrauen zu hegen, und diesmal hatte das Gift sie richtig weggerafft. Er leerte draußen die Schüssel und als er zurückgekehrt war, wusch er mit einem Schwamm die umhergespritzten Tropfen von der Diele. Warum hatte sie auch ihm nicht gewillfahrt? Sie wollte die Boshafte sein, um so schlimmer für sie. Wenn man innerhalb einer Ehe, ohne die übrige Welt in den Streit zu ziehen, darum spielt, wer den Andern einsargen wird, muß man die Augen offen halten. Er war stolz auf sein Werk und grinste wie über eine amüsante Geschichte, daß er ihr das Gift von unten eingegeben hatte, während sie so ängstlich alles prüfte, was sie oben zu sich nahm. In diesem Augenblick jagte ein Eilzug vorüber und wickelte das Häuschen in einen solchen Sturmwind ein, daß er, trotzdem er so etwas gewöhnt war, erschrocken nach dem Fenster blickte. Ach, da war ja diese beständige Fluth wieder, diese Allerweltsmenschheit, die nicht wußte, was sie auf ihrer Fahrt zermalmte und sich auch blutwenig darum kümmerte, so eilig hatte sie es, selbst zum Teufel zu gehen! Und als der Zug vorüber und wieder tiefe Stille eingetreten war, begegnete sein Blick den großen, weit geöffneten Augen der Todten, deren unbewegliche Augäpfel jeder Bewegung von ihm beim höhnischen Lachen der verzerrten Lippen zu folgen schienen.
    Der sonst so

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