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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Gewissensbisse. Er hatte klaren Blickes sofort Roubaud und Cabuche in’s Auge gefaßt. Er wußte den Ersten schuldig, er nickte ihm leise zu, einen verstohlenen Gruß, ohne zu bedenken, daß er bereits offenkundig als der Geliebte von dessen Frau galt. Den Zweiten lächelte er ebenfalls ganz unschuldig an,trotzdem dessen Platz auf jener Bank eigentlich ihm gehörte: ein dummes, gutmüthiges Thier der dort trotz seinem Banditengesicht, hatte er ihn doch arbeiten gesehen wie Keinen und ihm dafür die Hand gedrückt. Ohne zu stocken that er seine Aussage; in kurzen, abgeschlossenen Sätzen antwortete er auf die Fragen des Präsidenten, der ihn unverhältnißmäßig eingehend über seine Beziehungen zu dem Opfer fragte, und ihn über seine einige Stunden vor dem Morde erfolgte Abreise von la Croix-de-Maufras ausfragte, wann er den Zug in Barentin bestiegen und wo er in Rouen geschlafen hätte. Cabuche und Roubaud hörten aufmerksam zu und bestätigten seine Aussagen durch ihre zustimmende Haltung. Und es stieg so etwas wie eine unsägliche Trauer zwischen diesen drei Männern auf. Ein Todesschweigen herrschte im Saale, eine man weiß nicht woher gekommene Hand packte die Geschworenen an der Kehle: es war die Wahrheit, die stumm in der Luft lag. Auf die Frage des Präsidenten, was er von dem in das nächtliche Dunkel hineingeflohenen Unbekannten hielte, von welchem Cabuche sprach, warf Jacques nur den Kopf zurück, als wollte er den Angeklagten nicht noch mehr durch eine Aussage belasten. Und nun geschah etwas Merkwürdiges, was das ganze Auditorium bestürzt machte. Jacques’ Augen füllten sich plötzlich mit Thränen, die ihm in Strömen über die Wangen liefen. Soeben schwebte das Bild Séverine’s, der unglücklichen Ermordeten ihm vor Augen, wie er es zuletzt gesehen hatte, mit den riesig vergrößerten Augen, den auf dem Kopfe sich wie eine Krone des Schreckens sträubenden Haaren. Er betete sie noch immer an, ein maßloses Mitleid hatte sich seiner bemächtigt, und unbewußt des eigenen Verbrechens, nicht wissend, wo er sich befand, beweinte er sie mit heißen Thränen. Teilnahmsvolle Damen schluchzten ebenfalls. Man fand diesen Schmerz des Liebenden äußerst rührend, während des Gatten Augen trocken blieben. Der Präsident fragte, ob die Vertheidigung noch eine Frage an den Zeugen zu richten hätte, die Advokaten dankten und die Angeklagten starrten blöde Jacques nach, der von der allgemeinen Theilnahme begleitet, sich auf seinen Platz zurückbegab.
    Die dritte Sitzung wurde vollständig von der Rede des Staatsanwalts und dem Plaidoyer der Vertheidigerausgefüllt. Der Präsident ging zunächst noch einmal völlig unparteiisch den vorliegenden Fall von Anfang bis Ende durch. Der Staatsanwalt schien nicht im Vollbesitz aller seiner Mittel zu sein, er sprach mehr durch die Macht der Gewohnheit als durch seine Ueberzeugung geleitet, seine Beredsamkeit war ein hohles Phrasengebimmel. Man schob die Schuld auf die wahrhaft betäubende Hitze, der Vertheidiger von Cabuche dagegen, der Pariser Advokat, sprach sehr unterhaltend, ohne zu überzeugen. Der Vertheidiger Roubaud’s, ein ausgezeichnetes Mitglied des Advokatenstandes von Rouen, zog sich so gut es ging aus der anrüchigen Sache. Der Staatsanwalt erwiderte nicht einmal, so abgespannt war er. Als sich die Jury in das Berathungszimmer zurückzog, war es erst sechs Uhr, das volle Tageslicht drang noch durch die zehn Fenster, ein letzter Sonnenstrahl vergoldete die Wappen der Städte der Normandie, welche die Capitäle schmückten. Ein lautes Gemurmel stieg zu dem antiken Plafond empor, man drängte ungeduldig gegen die eisernen Stäbe, welche die reservirten Platze von der öffentlichen Tribüne schieden. Dann aber trat ein fast ehrfürchtiges Schweigen ein, als der Gerichtshof und die Jury wieder erschienen. Der Spruch lautete unter Zulassung mildernder Umstände auf lebenslängliche Zuchthausstrafe für beide Männer. Die Ueberraschung war grenzenlos, die Menge drängte tumultuarisch in’s Freie und man hörte sogar wie im Theater einige Pfiffe.
    Am Abend sprach man in Rouen nur von dieser Verurtheilung mit allen möglichen Commentaren. Nach der allgemeinen Ansicht hatten Frau Bonnehon und die Lachesnaye eine Niederlage erlitten. Nur eine Verurtheilung zum Tode hätte die Ehre der Familie wiederherzustellen vermocht. Zweifellos hatten Gegenströmungen gearbeitet. Man nannte sich auch verstohlen schon Frau Leboucq, die drei oder vier ihrer Getreuen unter den

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