Die Bestie im Menschen
trug eine lange blaue Blouse und war der richtige Typus einesMörders mit seinen mächtigen Fäusten, raubthierartigen Kinnbacken, einer jener Burschen, denen man nicht gern allein im Gehölz begegnet. Das Verhör bestätigte den schlechten Eindruck, denn auf manche Antworten folgte ein Gemurmel der Entrüstung. Auf alle Fragen des Präsidenten antwortete Cabuche, daß er von nichts wisse: er wisse nicht, wie die Uhr in seine Hütte gekommen sei, warum er den wirklichen Schuldigen habe entwischen lassen. Er blieb bei seiner Geschichte von dem geheimnißvollen Unbekannten, dessen Galopp durch die Finsterniß er gehört haben wollte. Als man ihn wegen seiner bestialischen Leidenschaft für das unglückliche Opfer befragte, brach sein Zorn mit einem Male so fürchterlich aus, daß die beiden Gensdarmen ihn am Arm packen mußten: nein, er hatte sie nie geliebt, sie nie begehrt, es seien Lügen, die Jene beschmutzten, von der er nichts begehrt habe, in der er stets die Dame respectirt hätte, während er schon einmal das Gefängniß kennen gelernt hätte und wie ein Wilder lebte! Als er sich beruhigt hatte, verfiel er in dumpfes Brüten und gab nur einzelne Laute von sich, gleichgültig gegen die Strafe, die ihn treffen könnte. Roubaud hielt sich an das, was die Anklage sein System nannte: er erzählte, wie und warum er den Präsidenten Grandmorin getödtet hätte und leugnete jede Theilnahme an der Ermordung seiner Frau. Er sprach in unzusammenhängenden Sätzen, stellenweise ging ihm das Gedächtniß aus, seine Augen irrten umher, die Stimme versagte ihm manchmal, mitunter schien er nach Kleinigkeiten zu suchen, um sie als Ausreden zu benutzen. Als der Präsident ihm das Thörichte seiner Erzählung vorhielt, begnügte er sich damit, mit den Achseln zu zucken, er weigerte sich, weiterzusprechen: wozu noch länger die Wahrheit sagen, wenn die Lüge als Logik galt? Diese verächtliche Haltung gegenüber der Justiz spielte ihm den größten Tort. Es fiel auch die vollständige Interessenlosigkeit der beiden Angeklagten aneinander auf, es schien dies ein Beweis einer vorausgegangenen Verständigung, eines geschickt ausgearbeiteten und mit außerordentlicher Willensstärke ausgeführten Planes. Sie behaupteten sich nicht zu kennen, sie belasteten sich sogar, nur um den Gerichtshof irre zu führen. Als das Verhör geschlossen wurde, war die Sache als solche schon entschieden; der Präsident hatte die Verhandlungen sogeschickt in Form wirklicher Requisitorien geleitet, daß Roubaud und Cabuche richtig in die Falle gegangen und sich selbst ausgeliefert zu haben schienen. An diesem Tage wurden nur noch einige, wenig belangreiche Zeugen vernommen. Die Hitze wurde gegen fünf Uhr so unerträglich, daß zwei Damen ohnmächtig wurden.
Am folgenden Tage erregten die Aussagen gewisser Zeugen das Hauptinteresse. Frau Bonnehon hatte einen großen Erfolg durch ihren vornehmen Tact. Man lauschte aufmerksam den Aussagen der Angestellten der Gesellschaft zu, der Herren Vandorpe, Bessières, Dabadie und des Herrn Cauche, welch Letzterer sehr weitschweifig erzählte, wie genau er Roubaud bei seiner Parthie im Café du Commerce kennen gelernt hätte. Henri Dauvergne wiederholte seine belastende Aussage, daß er trotz des Fiebers, in welchem er noch gelegen, seiner Sache ziemlich sicher sei, die sich streitenden Stimmen der beiden Angeklagten vor dem Fenster gehört zu haben. Ueber Séverine befragt, that er sehr discret, er ließ durchblicken, daß er selbst sie geliebt, aber sich freiwillig zurückgezogen hätte, als er sie einen Andren bevorzugen sah. Als dieser Andre, Jacques Lantier nämlich, hereingeführt wurde, summte es in der Menge, man stand auf, um besser sehen zu können, selbst durch die Reihe der Geschworenen lief eine erwartungsvolle Bewegung. Jacques stützte sich durchaus gefaßt mit beiden Händen auf die Zeugenschranke, eine Bewegung, die seiner Gewohnheit beim Führen der Locomotive entstammte. Sein Erscheinen vor dem Tribunal, das ihn im Grunde genommen hätte sehr bestürzt machen müssen, trübte seinen Geist nicht im Geringsten, als stände er der dort verhandelten Sache völlig fern. Er sagte aus wie ein Fremder, ein Unschuldiger. Seit dem Morde hatte ihn kein Schauder wieder heimgesucht, er dachte nicht einmal mehr an diese Dinge, das Gedächtniß dafür war ihm entschwunden, seine Organe schienen in völlig gesundem, gleichmäßigen Zustande sich zu befinden. Selbst vor dieser Schranke fühlte er keine Reue, keine
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