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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wurde nicht mehr innegehalten, plötzlich eingeschobene Züge veranlaßten beträchtliche Verspätungen; die besten Locomotivführer waren mobil gemacht worden, um die Concentrirungder Armeecorps beschleunigen zu helfen. So kam es, daß eines Abends Jacques von Havre aus statt seines gewöhnlichen Eilzuges einen mächtigen, achtzehn Waggons starken und mit Soldaten vollgepfropften Zug zu führen hatte.
    Pecqueux kam an diesem Abend vollständig betrunken in das Depot. Am Tage nach dem Vorfall in Rouen hatte er wieder als Heizer die Locomotive 608 mit Jacques bestiegen. Er machte keinerlei Anspielung, schien aber seinen Vorgesetzten garnicht zu bemerken. Dieser fühlte seine Widerspenstigkeit und seinen Ungehorsam wohl heraus, denn sobald er ihm einen Befehl ertheilte, handelte er brummig nach seinem eigenen Kopf. Schließlich sprachen sie garnicht mehr mit einander. Diese bewegliche Brücke aus Eisenblech, die sie früher so brüderlich getheilt hatten, war jetzt für sie die schmale, gefährliche Planke, auf der sich ihre Nebenbuhlerschaft rieb. Der Haß wuchs, sie waren auf dem besten Wege, sich auf diesen wenigen schnell dahinfliegenden Quadratfuß, von denen sie bei der geringsten Erschütterung herabstürzen konnten, gegenseitig aufzufressen. Als Jacques Pecqueux an diesem Abend betrunken sah, war er ganz besonders auf seiner Hut. Er wußte, daß er nüchtern nichts wagte, daß aber der Wein alle brutalen Triebe in ihm entfachen konnte.
    Der Zug, der um sechs Uhr abgehen sollte, verspätete sich. Es dunkelte schon, als man die Soldaten wie die Hämmel in die Viehwagen trieb. Man hatte Bretter an Stelle von Bänken aufgelegt und abtheilungsweise pferchte man sie dazwischen hinein, so viele wie hineingingen. Schließlich saß fast einer auf dem Andern und die stehen mußten, konnten keinen Arm rühren. In Paris sollte sie ein anderer Zug erwarten, der sie direct an den Rhein führte. Der Trubel des Aufbruchs hatte sie schon müde gemacht. Doch als man Branntwein unter sie ausgeteilt und Viele sich bei den Kaufleuten in der Nachbarschaft verproviantirt hatten, gaben sie sich einer brutalen, unnatürlichen Heiterkeit hin und die Augen traten aus ihren rothen Köpfen. Als der Zug aus dem Bahnhofe rasselte, stimmten sie Lieder an.
    Jacques sah nach dem Himmel, woselbst eine gewitterartige Wolke die Sterne verhüllte. Die Nacht war düster, kein Lüftchen kühlte die glühende Luft ab. Am dunklen Horizont sah man kein anderes Licht, als die lebhaft schimmerndenFünkchen der Signallaternen. Um die große Steigung von Harfleur nach Saint-Romain zu nehmen, vermehrte er den Druck. Trotzdem er die Locomotive 608 schon seit Wochen studirte, fühlte er sich noch immer nicht Herr über sie; sie war noch zu neu und überraschte durch allerlei Launen und Jugendthorheiten. In dieser Nacht fand er sie ganz besonders widerspenstig und unberechenbar; einige Bissen Kohle zu viel und er war gefaßt, sie vor lauter Uebermuth in die Luft gehen zu sehen. Er ließ daher den Fahrtregulator nicht aus der Hand und überwachte gleichzeitig das Feuer, denn das Benehmen seines Heizers machte ihn stutzig. Die kleine, das Wasserniveau beleuchtende Lampe tauchte die Plattform in ein Halbdunkel, in welchem man nur die violet glühende Thür der Feuerung erkannte. Er konnte Pecqueux nur ganz undeutlich bemerken und hatte schon wiederholt an seinen Beinen das Gefühl gehabt, als versuchten dessen Finger ihn dort zu packen. Es rührte diese Empfindung aber zweifellos nur von einer Ungeschicklichkeit des Trunkenboldes her, denn er hörte ihn trotz des Lärms höhnisch lachend die Kohlen mit außergewöhnlich derb geführten Hammerschlägen zerkleinern und mit der Schaufel hantiren. Alle Minuten öffnete er die Thür und warf unvernünftige Mengen Brennstoff auf die Roste.
    »Genug!« rief Jacques.
    Der andere that, als verstände er nicht und fuhr fort mit dem Feuern. Als ihn der Locomotivführer darauf am Arme packte, richtete er sich drohend auf. Jetzt endlich hatte er den gesuchten Streit gefunden. Seine durch die Trunkenheit genährte Wuth schien zu wachsen.
    »Nicht anrühren oder ich haue … Es macht mir Spaß, so schnell zu fahren!«
    Der Zug sauste gerade mit voller Geschwindigkeit über das von Bolbec nach Motteville führende Plateau. Er sollte ohne Aufenthalt direct nach Paris gehen und nur an einigen, vorher bestimmten Stellen Wasser einnehmen. Die riesige Masse, diese mit menschlichem Viehzeug vollgestopften achtzehn Waggons rasselten mit

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