Die Bestie im Menschen
und Frau Bonnehon. Diese war einst den Roubaud günstig gestimmt gewesen, hatte aber jetzt den Mann fallen lassen müssen. Aber auf die Frau wollte sie nichts kommen lassen, war sie doch mit ihrer Toleranz den Reizen der Liebe gegenüber so etwas wie eine Mitschuldige, und diese romanhafte, von Blut triefende Tragödie hatte bei ihr ein theilnahmvolles Verständniß gefunden. Sie verachtete jede materielle Neigung. Schämte sich ihre Nichte gar nicht, auf die Erbschaftsfrage zurückzukommen? Wenn man Séverine für schuldig hielt, dann könnte man auch gleich Roubaud’s ganzes Geständniß gutheißen und das Andenken des Präsidenten wäre von Neuem besudelt. Ja, diese Wahrheit hatte der Ehre der Familie halber erfunden werden müssen, wenn die Untersuchung sie nicht schon in so geistreicher Weise herbeigeführt haben würde. Sie sprach mit Bitterkeit von der Gesellschaft Rouen’s, die so viel Aufhebens von der Sache machte, derselben Gesellschaft, über die sie, nun sie alterte, nicht mehr herrschte wie einst, trotzdem ihre üppige blonde Schönheit einer gealterten Göttin noch nicht entschwunden war.
Am Abend vorher erst hatte man sich bei der Frau des Rathes Leboucq, der stattlichen brünetten Frau, die sie entthront hatte, allerlei Schreckgeschichten in die Ohren getuschelt, zum Beispiel das Abenteuer von Louisette und noch mehreres, was die Bosheit der Menschen erfunden hatte. Hier unterbrach sie Herr Denizet, um zu bemerken, daß Herr Leboucq als Beisitzer bei dem Prozeß fungiren würde. Die Lachesnaye schwiegen und schienen, von Unruhe befallen, nachgeben zu wollen. Aber Frau Bonnehon beruhigte sie, der Gerichtshof würde seine Schuldigkeit thun: der Präsident würde ihr alter Freund, Herr Desbazailles sein, dessen Rheumatismus ihm nur noch die Erinnerung an einstige schöne Stunden ließ und der zweite Beisitzer Herr Chaumette, der Vater des jungen Substituts, ihres Schützlings. Sie war also unbesorgt, obwohl ein melancholisches Lächeln auf ihren Lippen schwebte, als sie den Namen des Letzteren aussprach, denn man sah seinen Sohn seit einiger Zeit häufig bei Frau Leboucq, wohin sie selbst ihn schickte, um seiner Zukunft nicht zu schaden.
Als der famose Prozeß endlich begann, that das Gerüchtvon dem bevorstehenden Kriege, die fieberhafte Aufregung, von der ganz Frankreich befallen, dem Wiederhall der Verhandlungen großen Abbruch. Nichtsdestoweniger war ganz Rouen drei Tage hindurch in fürchterlicher Aufregung. Man drängte sich vor den Thüren zum Verhandlungssaal und die reservirten Plätze waren von den Damen der vornehmen Gesellschaft Rouens in Beschlag genommen. Noch nie hatte der alte Palast der Normannenherzöge seit seiner Umwandlung in ein Gerichtsgebäude einen solchen Andrang erlebt. Es war in den letzten Tagen des Juni, die Nachmittage waren warm und von der Sonne durchfluthet, ein helles Licht machte die Scheiben der zehn Fenster erglänzen und überfluthete die Holzschnitzereien, den steinernen Altar, der sich scharf von dem rothen, mit Bienen besäeten Vorhang abhob, dem berühmten Plafond aus der Zeit Ludwigs XII. mit seinen matt vergoldeten kostbaren Holzschnitzereien. Die Frauen streckten ihre Hälse, um die auf dem Tische liegenden Beweisstücke zu sehen: die Uhr Grandmorin’s, das blutbefleckte Hemde Séverine’s und das von beiden Mördern benutzte Messer. Auch der Vertheidiger Cabuche’s, ein Pariser Advokat, wurde vielfach bemerkt. Auf der Geschworenenbank saßen in ihre dunklen Ueberröcke gehüllt ernst und würdig zwölf Bürger Rouens. Als der Gerichtshof eintrat, stieß und drängte sich das stehende Publikum so gewaltig, daß der Präsident sofort mit Räumung des Saales drohen mußte.
Die Verhandlungen nahmen ihren Anfang, die Geschworenen wurden vereidigt und der Aufruf der Zeugen machte die Zuschauer von Neuem aufrührerisch. Bei Nennung der Frau Bonnehon und der Lachesnaye wogten die Köpfe wie ein Meer, aber Jacques lenkte ganz besonders die Aufmerksamkeit der Damen auf sich, deren Blicke nicht von ihm wichen. Als aber die beiden Angeklagten zwischen ihren Gensdarmen erschienen, fesselten sie das ganze Interesse und hin und her flogen die Bemerkungen. Man fand, daß sie gemeine, trotzige Gesichter hatten wie zwei richtige Banditen. Roubaud in seinem dunkelfarbenen Ueberrock und mit der nachlässig geknüpften Cravatte eines vornehmen Herrn überraschte durch sein gealtertes schwammiges Aussehen. Cabuche sah genau so aus, wie man ihn sich vorgestellt hatte; er
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