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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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er sie später verheirathet hat …«
    Er hörte nicht hin, er hörte nicht zu. Er umschlang sie und drückte bei der brutalen Umarmung seinen Mund heftig auf den ihren. Ein halbunterdrückter Schrei, nein, mehr ein sanfter, von Herzen kommender Klageruf entschlüpfte ihr, das Geständniß ihrer so lange unterdrückten Liebe. Aber sie kämpfte und wehrte sich halb unbewußt. Sie wünschte ihn sich, trotzdem rang sie mit ihm, sie wollte von ihm besiegt sein. Wortlos, Brust an Brust, mit fliegendem Athem, suchte eines das andere unterzubekommen. Einen Augenblick schien sie die Stärkere zu sein. Sie würde ihn wahrscheinlich geworfen haben, so sehr er sich auch sträubte, wenn er sie nicht an der Kehle gepackt hätte. Die Taille sprang auf und die beiden festen, von dem Ringen geschwollenen Brüste schimmerten wie flüssige Milch durch das Dunkel. Sie sank auf den Rücken, sie gab sich besiegt.
    Anstatt seinen Sieg zu benutzen, kniete er, an allen Gliedern zitternd, athemlos vor ihr und starrte sie an. Dann schien ihn eine Wuth, eine Wildheit zu packen, seine Augen suchten nach einer Waffe, einem Steine, nach irgend etwas, um sie zu tödten. Seine Blicke entdeckten die aus dem Gewirr der Knoten hervorleuchtende Scheere. Er griff nach ihr und war schon im Begriff, sie in den weißen Hals, zwischen die rosig schimmernden weißen Brüste zu tauchen, als ihn ein eisiger Schauder ernüchterte. Er warf die Scheere von sich und entfloh wie wahnsinnig, während sie mit geschlossenen Augenlidern liegen blieb und nicht anders dachte, als daß er sie verschmähte, weil sie ihm widerstanden hatte.
    Jacques floh durch die melancholische Nacht. Im Galopp rannte er den Fußsteig einer Anhöhe empor und taumelte auf der andern Seite in eine enge Schlucht hinunter. Unter seinen Schritten davonrollende Kieselsteine erschreckten ihn, er drang links durch die Gebüsche und auf einem Umweg nach derselben Seite wieder hinaus, wodurch er rechts auf ein leeres Plateau gerieth. Er ließ sich herab und gerieth gegen die den Bahndamm einfriedigende Hecke: ein Zug kam schnaubend und dampfend vorüber. Er erschrak und begriff zuerst nicht recht. Ach, ganz recht, da fährt ja alle Welt vorüber, in einem fort, während er hier mit fliegenden Pulsen fiebert! Er kletterte abermals hinauf und abermals hinunter. Immer wieder stieß er auf die Geleise, bald auf der Sohle tiefer Schluchten, an Abgründen entlang, bald auf Abhängen, deren riesige Barrikaden die Fernsicht abschnitten. Dieses wüste, von Anhöhen kupirte Gelände glich einem ausgangslosen Labyrinthe. Durch die gruftähnliche Trostlosigkeit dieser unbebauten Länderstrecken jagte ihn sein Wahnsinn. Schon lange war er auf den Höhen und Abhängen umhergeklettert, als er vor sich eine schwarze Oeffnung, den offenen Schlund des Tunnels erblickte. Ein bergauf fahrender Zug stürzte sich heulend und pfeifend dort hinein und verschwand, als hätte ihn die Erde verschlungen, mit einem Gedröhne, von dem noch lange hernach der Boden erzitterte.
    Jacques stürzte neben dem Eisenbahndamm zu Boden, seine Beine trugen ihn nicht weiter. Auf dem Bauche liegend und das Gesicht tief in den Rasen gedrückt schluchzte er krampfhaft. Das Uebel, von dem er sich geheilt wähnte, war also wirklich wiedergekommen? Er hatte dieses Mädchen tödten wollen! Ein Weib tödten, ein Weib tödten wollen! Von Jugend auf, je mehr das Fieber und die Sehnsucht nach dem Besitz eines Weibes in ihm wuchsen, desto stärker wurde auch dieses Verlangen. Andere träumen beim Erwachen der Mannbarkeit nur von dem Besitz des Weibes, in ihm aber gährte der Gedanke, dann eine zu tödten! Er konnte es nicht leugnen, er hatte die Scheere ergriffen, um sie ihr in das Fleisch zu stoßen, sobald sein Auge dieses gesehen, in dieses Fleisch, in diese warme weiße Brust. Und nicht in einem Anfalle von Wuth, sondern lediglich aus dem Vergnügen an der Sache heraus. Dieses Vergnügen verlangte so mächtig seine Befriedigung, daß er am liebsten im Galopp zurückgelaufen wäre um sie zu morden, hätten seine Hände sich nicht mit aller Gewalt in den Erdboden gekrampft. Und gerade sie, mein Gott, diese Flore, die er hatte aufwachsen sehen, dieses wilde Kind, von dem er sich so heißgeliebt fühlte! Seine gekrümmten Finger wühlten sich noch tiefer in das Erdreich, das Schluchzen zerriß ihm die Kehle, es war ein Röcheln fürchterlichster Verzweiflung.
    Dann rang er nach Ruhe, er wollte klar sehen. Welch ein Unterschied war eigentlich zwischen

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