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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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setzte sich und aß ohne Hast, zunächst schweigsam. Phasie, die schon seit dem Morgen den Napf nicht außer Acht gelassen hatte, in welchem die Krautsuppe kochte, ließ sich auch einen Teller voll reichen. Aber als sich ihr Mann erhoben hatte, um ihr das von Flore vergessene Eisenwasser zu reichen, eine Karaffe, in welcher Nägel schwammen, nahm sie nichts. Er, demüthig und dienstbar, mit einem krankhaften Husten behaftet, sah nicht so aus, als ob er die ängstlichen Blicke bemerkte, mit denen sie seine geringsten Bewegungen verfolgte. Als sie Salz verlangte, welches auf dem Tische nicht zu sehen war, sagte er zu ihr, sie würde es noch einmal bereuen, so viel Salz zu essen, das mache sie gerade krank. Er erhob sich, um es zu holen und brachte ihr in einem Löffel ein paar Finger voll. Das Salz nahm sie voll Vertrauen; es reinige Alles, meinte sie. Dann sprach man von der seit einigen Tagen eingetretenen wirklich warmen Witterung, von einem in Maromme vorgekommenen Unglücksfall. Jacques mußte schließlich glauben, daß seine sonst so aufgeweckte Pathe an Alpdrücken leiden müsse, denn er konnte nichts in dem Benehmen des gefälligen Männchens mit den farblosen Augen entdecken, was zum Mißtrauen herausforderte. Länger als eine Stunde saß man beisammen. Viermal war Flore beim Tönen des Signalhornes auf einen Augenblick verschwunden. Die Züge jagten vorüber und brachten die Gläser auf dem Tische zum Klirren, aber keiner der Tischgenossen schenkte ihnen irgend welche Aufmerksamkeit.
    Abermals ein Signal mit dem Horn, doch diesmal kam Flore, die soeben abgedeckt hatte, nicht zurück. Sie ließ ihre Mutter und die beiden Männer bei einer Flasche Apfelweinschnaps allein. Die drei blieben noch eine halbe Stunde sitzen. Dann nahm Misard, der vorher seine Blicke einen Augenblick forschend auf eine Ecke des Gemaches gerichtet hatte, seine Mütze und schritt mit einem einfachen Guten Abend zur Thür hinaus. Er wilddiebte in den Bächen der Nachbarschaft, in denen es prächtige Aale gab, und er ging nie eher schlafen, bis er seine Netze gründlich visitirt hatte.
    Kaum war er fort, sah Phasie ihren Pflegesohn bedeutsam an.
    »Glaubst Du nun? Hast Du gesehen, wie sich sein Blick dort in die Ecke wühlte? … Es ist ihm nämlich gerade eingefallen, ich könnte meinen Schatz dort hinter dem Buttertopf verborgen haben … O, ich kenne ihn, ich weiß genau, daß er heute Nacht den Topf von der Stelle rücken wird.«
    Ein plötzlicher Schweiß drang durch die Poren ihres Körpers und ein heftiges Zittern schüttelte ihre Glieder.
    »Da, sieh her, auch das noch! Er wird mir zu viel eingegeben haben, ich habe einen bittern Geschmack im Munde, als ob ich alte Sousstücke verschluckt hätte. Gott weiß, warum ich durchaus nichts von ihm nehmen will. Man möchte am liebsten gleich in’s Wasser gehen. Heute Abend geht es leider nicht mehr, weil ich jetzt zu Bett muß. Also lebe wohl, mein Junge, da Du schon um sieben Uhr sechsundzwanzig Minuten abfährst, werde ich Dich nicht mehr sehen können. Und Du kommst bald wieder? Wir wollen hoffen, daß Du mich hier noch vorfindest.«
    Er half ihr in ihr Zimmer, wo sie sich hinlegte und auch sofort zusammengekauert einschlief. Allein geblieben, zögerte er einen Augenblick und überlegte, ob er auch nach oben steigen und sich auf das Heu in der Vorratskammer strecken sollte. Die Uhr war aber jetzt erst dreiviertel auf acht, also es noch zu früh zum Schlafen. Er verließ das Gemach und ließ die kleine Petroleumlampe in dem leeren, träumenden Häuschen brennen, das von Zeit zu Zeit durch den jähen Donner eines vorüberfahrenden Zuges erschüttert wurde.
    Draußen fühlte sich Jacques von der Milde der Luft angenehm überrascht, welche Regen zu verkünden schien. Eine gleichmäßige, milchartige Wolke hatte den ganzen Himmel überzogen und der hinter ihr verborgene unsichtbare Vollmond tauchte das Himmelsgewölbe in einen röthlichen Schimmer. Weit hinein sah er in das Land, dessen im friedlichen Schlummer ruhende Wiesen, Abhänge und Bäume sich in diesem gleichmäßigen todten Lichte dunkel abhoben. Er durchschritt den kleinen Küchengarten, dann wollte er nach Doinville zu spazieren gehen, weil die Straße nach jener Richtung weniger schroff aufstieg. Aber der Anblick des jenseits des Eisenbahndammes schräg aufsteigenden, einsamen Hauses zog ihn an; da die Barriere schon für die Nacht geschlossen war, überschritt er die Geleise bei dem Pförtchen. Er kannte dieses Haus sehr

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