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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Jungfrau, und bald hatten es die Leute in der Gegend weg, daß sie ihren Kopf auf der rechten Stelle habe.
    Als Jacques hörte, daß sie keinen Gefallen an einem Liebhaber hätte, fuhr er fort sie zu sticheln.
    »Also wird aus Deiner Hochzeit mit Ozil nichts? Ich habe mir erzählen lassen, daß Du alle Tage mit ihm im Tunnel zusammentriffst.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Pah, meine Hochzeit … Im Tunnel, das wäre so ein Spaß! Zweieinhalb Kilometer im Dunkeln galoppiren in der steten Angst, von einem Zuge erfaßt zu werden, wenn man nicht die Augen offen hat. Man muß den Lärm hören, den so ein Zug da unten vollführt! .. Der Ozil war ein langweiliger Kerl. Er war noch nicht der rechte.«
    »Du willst also einen Andern?«
    »Ich weiß nicht, ich weiß wirklich nicht.«
    Während sie sich mit dem Aufknüpfen eines Gewirrs von Knoten abquälte, ohne damit fertig zu werden, schüttelte sie ein abermaliges Gelächter. Ohne den Kopf zu heben, als wäre sie ganz vertieft in ihre Verrichtung, fragte sie:
    »Und Du, hast Du schon eine Geliebte?«
    Jacques wurde ernst. Seine Augen wandten sich zur Seite in die Nacht hinaus und flimmerten unstät.
    »Nein,« antwortete er kurz.
    »Es stimmt also,« meinte sie. »Man hat mir nämlich erzählt, daß Du die Frauen haßtest. Und dann kenne ich Dich auch nicht erst seit gestern. Etwas Liebenswürdiges bekommt man von Dir überhaupt nicht zu hören … Warum ist das so?«
    Er schwieg, sie ließ die Knoten fahren und blickte zu ihm auf.
    »Liebst Du nur Deine Lokomotive? Man macht sich darüber schon lustig, wie Du weißt. Man behauptet, Du putztest sie in einem fort, um sie recht leuchten zu lassen, als hättest Du nur für sie Deine Zärtlichkeiten übrig. Ich darf Dir das schon sagen als Deine Freundin.«
    Auch er betrachtete sie in der bleichen Helle des bedeckten Himmels. Er erinnerte sich, daß sie schon als kleines Kind heftig und eigensinnig gewesen war, aber so oft er kam, ihm mit der Leidenschaftlichkeit einer Wilden an den Hals sprang. Später verlor er sie mehrfach aus den Augen, jedesmal aber, wenn er sie wiedersah, schien sie gewachsen; trotzdem fiel sie auch dann noch ihm um den Hals, aber die Flammen in ihren großen, klaren Augen genirten ihn mehr und mehr. Jetzt war sie ein herrliches, begehrenswerthes Weib, er war zweifellos noch immer ihre Jugendliebe. Sein Herz klopfte heftig, er hatte das plötzliche Gefühl, daß er der von ihr Erwartete sei. Mit dem Blut zugleich aber stieg eine wachsende Verwirrung ihm zu Kopf, die ihn folternde Angst drängte ihn zunächst zur Flucht. Jedesmal, wenn das Verlangen nach einem Weibe in ihm aufstieg, wurde er wie toll und sah alles roth.
    »Was stehst Du noch?« begann Flore von Neuem, »so setze Dich doch.«
    Er zögerte abermals. Doch er fühlte seine Füße schwach werden und von dem Drange getrieben, es noch einmal mit der Liebe zu versuchen, ließ er sich neben sie auf den Haufen Stricke nieder. Er sagte nichts, da ihm die Kehle wie ausgedörrt schien. Sie, die Schweigsame, Stolze, schwatzte dagegen jetzt, daß sie kaum zu Athem kam. Sie schien sich betäuben zu wollen.
    »Es war eine Dummheit von Mutter, Misard zu heirathen. Das wird ihr schlecht bekommen … Mich geht es ja weiter nichts an, ich habe genug zu thun. Und will ich einmal dazwischen fahren, dann schickt mich Mutter zu Bett … Mag sie sehen, wie sie mit ihm fertig wird. Ich lebe außerhalb des Hauses. Ich habe an zukünftige Dinge zu denken … Ich habe Dich heute früh von einem Strauch aus, unter welchem ich saß, auf Deiner Lokomotive vorüberfahren sehen. Aber Du siehst ja nie hin … Ich werde Dir auch sagen, woran ich immer denke, aber nicht jetzt, erst später, wenn wir erst vollständig gute Freunde geworden sind.«
    Sie hatte die Scheere fallen lassen und er hatte, noch immer stumm, sich ihrer beiden Hände bemächtigt. Entzückt ließ sie sie ihm. Trotzdem durchzuckte sie, als er jene an seine brennenden Lippen führte, ein jungfräulicher Schrecken, die Kriegerin in ihr erwachte und bäumte sich bei dieser ersten Annäherung des Bösen streitbar auf.
    »Nein, nein, lasse mich, ich will nicht … Verhalte Dich hübsch ruhig, wir wollen plaudern … Ihr Männer denkt nur an so etwas. Wenn ich Dir wiederholen wollte, was mir Louisette an dem Tage, als sie bei Cabuche starb, erzählt hat! … Uebrigens wußte ich schon von der Unzucht des Präsidenten, denn er kam oft mit jungen Mädchen hierher … Von einer vermuthet das kein Mensch, weil

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