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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Er trug einen weiten Paletot von blauem Tuch, elegante Stiefel und seine Wäsche. Der Körper zeigte keine Spuren der Vergewaltigung, nur war viel Blut aus einer Halswunde geronnen und hatte den Hemdkragen besudelt. »Ein Bürger, der sein Fett fort hat,« bemerkte Misard nach einigen Minuten lautloser Prüfung.
    »Faßt ihn nicht an, das ist verboten,« sagte er dann zu Jacques, der mit offenem Munde sich nicht zu rühren wagte. »Bewachen Sie ihn, ich will inzwischen nach Barentin laufen und den Bahnhofsinspector benachrichtigen.«
    Er hob seine Laterne in die Höhe und sah nach dem Kilometerpfahl.
    »Schön, gerade bei Pfahl 153 also.«
    Er stellte die Laterne auf den Boden neben die Leiche und entfernte sich schleppenden Schritts.
    Jacques bewegte sich nicht, als er allein war. Er blickte unentwegt auf diese träge am Boden liegende Masse, deren Umrisse das flackernde Licht kaum erkennen ließ. Die Aufregung, die vorhin seine rasende Wanderung veranlaßt, der fürchterliche Magnet, der ihn hier festbannte, sie weckten in ihm den gleichen scharfen, sein ganzes Wesen durchblitzenden Gedanken: der andere, der mit dem Messer zugestoßen, der hatte es gewagt! Der war bis an’s Ziel gelangt, der hatte getödtet! O nur nicht feige sein, seinen Sinn befriedigen und dann tief hinein das Messer! Seit zehn Jahren marterte ihn dieser Gedanke. Sein Fieber malte ihm eine Verachtung seiner selbst, eine Bewunderung für den Anderen vor, besonders aber das unstillbare Verlangen, zu sehen und die Augen zu weiden an diesem menschlichen Fetzen, diesem zerbrochenen Hanswurst, diesem Waschlappen, zu welchem ein einziger Messerstich ein menschliches Geschöpf umwandeln kann. Seinen Traum hatte der andere verwirklicht. Das war es also! Wenn er tödtete, würde ihm dasselbe, was da vor ihm lag, bleiben. Sein Herz schlug zum Springen, seine lüsterne Mordlust machte ihn angesichts dieses tragischen Todes rasend Ein Schritt brachte ihn näher an die Leiche heran; er glich jetzt einem nervösen Kinde, das sich die Furcht abgewöhnen will. –Ja, er würde es wagen, auch er würde es wagen!
    Ein Schnauben hinter seinem Rücken zwang ihn, zur Seite zu springen. Von seinen Gedanken gepackt, hatte er das Kommen eines Zuges überhört. Fast wäre er zermalmt worden. Der heiße Athem, das fürchterliche Keuchen der Maschine warnten ihn noch rechtzeitig. Der Zug schoß in einem Orkan von Lärm, Rauch und Flammen vorüber. Er war ebenfalls sehr besetzt. Der Strom von Reisenden nach Havre zu dem Feste am nächsten Tage fluthete noch immer. Ein Kind hatte sein Näschen gegen die Scheibe gedrückt und blickte in die dunkle Landschaft hinaus. Profile von Männern hoben sich ab und eine junge Frau ließ eine Fensterscheibe hinunter, um ein mit Butter und Zucker beschmiertes Stück Papier hinauszuwerfen. Lustig fuhr der Zug in die Ferne; er ahnte nicht, daß seine Räder fast einen Leichnam berührt hatten. Und der Körper ruhte noch immer auf dem Gesicht, umflackert von dem unsteten Licht der Laterne inmitten dieses überwältigenden Friedens der Nacht.
    Jacques verlangte es, die Wunde zu sehen, so lange er noch allein war. Aber die Furcht, man könnte vielleicht bemerken, daß er den Kopf berührt habe, hemmte sein Vorhaben. Er hatte sich ausgerechnet, daß Misard nicht vor dreiviertel Stunden mit dem Stationsvorsteher zurück sein könnte. Er zählte die Minuten, er dachte an Misard, diesen schleichenden, stillen Jammermenschen, der mit der ruhigsten Miene von der Welt mit kleinen Dosen Giftes ebenfalls mordete. Der Mord war also weiter kein Kunststück? Denn alle Welt mordete ja. Von Neuem beugte er sich über den Todten, das Verlangen kitzelte ihn so, daß ihm der ganze Körper juckte. Er wollte gar zu gern sehen, wie das gemacht worden, was da eigentlich ausgeflossen war, vor allem das rothe Loch! Wenn er den Kopf vorsichtig anfaßte, konnte kein Mensch etwas merken. Aber etwas anderes, eine sich selbst nicht eingestandene Furcht hielt ihn zurück, die Furcht vor dem Blut. Immer und überall gesellte sich in ihm zu dem Verlangen die Angst. Nur noch eine Viertelstunde mußte er allein aushalten und trotz seiner Furcht würde er sein Vorhaben vielleicht gewagt haben, wenn nicht ein Rascheln an seiner Seite ihn hätte erschrecken lassen.
    Es war Flore. Sie stand neben dem Leichnam und betrachtete ihn wie er. Sie mußte überall sein, wo es ein Unglück gab; wenn man meldete, daß ein Thier von einem Zuge zermalmt oder ein Mensch überfahren worden

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