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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sei, sah man sie sicher herbeigelaufen kommen. Sie hatte sich wieder angezogen, sie wollte den Todten sehen, von welchem ihr Vater gesprochen. Nachdem sie einen Blick darauf geworfen, zögerte sie keinen Augenblick. Sie bückte sich, hob mit der einen Hand die Laterne auf und mit der anderen drehte sie den Kopf herum.
    »Achtsam, es ist verboten,« mahnte Jacques leise.
    Sie zuckte mit den Schultern. Der Kopf zeigte sich jetzt in dem gelblichen Lichte, das Gesicht eines Greises mit einer großen Nase und den blauen Augen eines ehemals blonden Menschen, die weit offen standen. Unter dem Kinn klaffte die entsetzliche Wunde, ein tiefer und erweiterter Schnitt durch die Kehle, als wäre mit dem Messer suchend darin herumgewühlt worden. Die rechte Seite der Brust war vollständig mit Blut begossen. Auf der linken Seite schimmerte in dem Knopfloche des Ueberziehers die Rosette der Ehrenlegion wie ein vereinzelter, dorthin verirrter Blutstropfen.
    Flore stieß einen leisen Schrei der Ueberraschung aus.
    »Bei Gott, der Alte!«
    Jacques beugte sich noch weiter hinunter, um besser sehen zu können, wobei sein Haar das ihrige streifte. Sein Athem ging ihm fast aus, so weidete er sich an dem Schauspiel.
    »Der Alte, der Alte!« wiederholte er, ohne zu wissen, was er sagte.
    »Ja doch, der alte Grandmorin –der Präsident.«
    Einen Augenblick noch sah sie prüfend in das bleiche Antlitz mit den zusammengebissenen Lippen und den unheimlich blickenden Augen. Schon begann die Todesstarre den Körper steif zu machen. Sie ließ den Kopf fallen, der auf den Boden aufschlug und die Wunde verdeckte.
    »Nun hört das Gescherze mit jungen Mädchen auf,« begann sie etwas leiser. »Das ist gewiß wegen Einer so gekommen … O meine arme Louisette! O dieses Schwein, so hat man es recht gemacht!«
    Ein langes Schweigen trat ein. Flore hatte die Laterne wieder hingestellt und wartete. Verstohlene Blicke wanderten zu Jacques hinüber, der, durch den Todten von ihr getrennt, kaum noch athmete und wie kopflos von dem soeben Gesehenen, wie ohnmächtig dastand. Es mußte bald elf Uhr sein. Sie geduldete sich noch einige Augenblicke, sie schien überrascht von seinem Schweigen. Eine nach den Vorgängen des Abends natürliche Verlegenheit hinderte sie, zuerst zu sprechen. Jetzt ließen sich aber Stimmen vernehmen, es war der Vater, der den Bahnhofsinspector geholt hatte. Sie wollte nicht gesehen werden und entschloß sich daher, ihn anzureden.
    »Du willst nicht bei uns schlafen?«
    Er zitterte, ein innerer Kampf schien ihn erbeben zu lassen.
    »Nein, nein!« stieß er endlich mit der letzten Kraft der Verzweiflung hervor.
    Sie rührte sich nicht, aber die glatt herniederfallende Linie ihrer kräftigen Mädchenarme drückte deutlich genug ihren Kummer aus. Sie wollte, daß er ihr ihr Widersetzen nicht nachtrage und fragte nochmals demüthig:
    »Du wirst also nicht zu uns kommen, ich soll Dich nicht wiedersehen?«
    »Nein, nein!«
    Die Stimmen kamen näher. Ohne nach seiner Hand zu haschen, denn er schien absichtlich den Todten zwischen sich und ihr zu lassen, ja selbst ohne ihm das kameradschaftliche Lebewohl aus ihren Kindertagen zugerufen zu haben, ging sie davon und verlor sich in der Finsterniß. Ihr Athem ging rauh, als unterdrückte sie ein Schluchzen.
    Gleich darauf war der Bahnhofsinspector mit Misard und zwei Arbeitern zur Stelle. Er konstatirte ebenfalls sofort die Identität: es war in der That der Präsident Grandmorin. Er kannte ihn sehr gut, denn er sah ihn oft genug auf seiner Station den Zug verlassen, wenn er sich nach Doinville zu seiner Schwester, Frau Bonnehon, begab. Der Körper konnte auf dem Platze bleiben, wo er lag, nur ließ er ihn mit einem von einem seiner Leute mitgebrachten Mantel bedecken. Ein Beamter sollte mit dem elf Uhr Zuge von Barentin abreisen, um den kaiserlichen Prokurator in Rouen von dem Geschehenen zu benachrichtigen. Doch war auf das Erscheinen desselben vor fünf oder sechs Uhr Morgens nicht zu rechnen, denn er mußte gemeinsam mit dem Untersuchungsrichter, dem Gerichtsschreiber und einem Arzt an die Unglücksstätte kommen. Der Bahnhofsvorsteher ließ also einen Mann, der sich während des übrigen Theiles der Nacht mit einem zweiten abzulösen hatte, mit der Laterne als Wache bei dem Todten zurück.
    Ehe Jacques sich entschloß, in irgend einem Schuppen der Station Barentin, von wo aus er erst um sieben Uhr zwanzig Minuten nach Havre zurückkehren konnte, seine müden Glieder auszustrecken, stand er

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