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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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halten.«
    Sie fühlte sich glücklich darüber, daß er seine Augen tief in den ihrigen ließ. Was sie that, war zweifellos eine Opferung ihrer ganzen Person. Sie lieferte sich ihm aus und wenn er später Ansprüche machen sollte, konnte sie ihm nichts mehr verweigern. Aber das Band war auch gleichzeitig unauflösbar zwischen ihnen beiden geknüpft: jetzt mißtraute sie ihm nicht mehr, er gehörte ihr wie sie ihm. Das Geständniß hatte sie geeint.
    »Sie peinigen mich nicht länger, Sie glauben mir?«»Ja, ich glaube Ihnen,« antwortete er lächelnd.
    Warum sollte er sie jetzt gleich in brutaler Weise zu einer Schilderung der fürchterlichen Vorgänge nöthigen? Später würde sie ihm Alles so wie so freiwillig erzählen müssen. Diese Art, sich selbst durch ein ihm gemachtes Geständniß die Ruhe zurückzugeben, rührte ihn ebenso, wie die Gewähr ihrer unversiegbaren Zärtlichkeit. Sie war so zutraulich, so schmächtig mit ihren süßen Nixenaugen! Sie war so ganz Frau, so ganz für den Mann geschaffen, immer bereit zu gehorchen, um glücklich sein zu können. Ganz besonders entzückte ihn, während ihre Hände noch ineinander ruhten und ihre Augen sich nicht mehr abwandten, daß er sein Uebel nicht mehr verspürte, kein Schauder überlief ihn bei dem Gedanken an die Nähe, an den Besitz einer Frau. Bei Anderen hätte er nicht die Haut berühren dürfen, gleich war die Lust hineinzubeißen, der unstillbare Heißhunger nach Mord entfacht. Konnte er diese hier wirklich lieben, ohne sie tödten zu wollen?
    »Ich bin Ihr Freund und Sie haben von meiner Seite nichts zu fürchten,« flüsterte er ihr in das Ohr. »Ich will Ihre Angelegenheit nicht weiter kennen lernen, sie sei wie sie wolle … Sie verstehen mich? Verfügen Sie vollständig über meine Person.«
    Er hatte sein Gesicht dem ihrigen so nahe gerückt, daß er ihren warmen Hauch in seinem Schnurrbart fühlte. Am Morgen hatte er noch gebebt aus Furcht vor dem Ausbruch einer Krisis. Was ging jetzt in ihm vor, daß er kaum ein leichtes Erzittern verspürte, dagegen das glückselige Schwächegefühl eines Genesenden? Der jetzt zur Gewißheit gewordene Gedanke, daß auch sie gemordet hatte, ließ sie ihm in einem viel großartigeren, ganz besonderen Lichte erscheinen. Vielleicht hatte sie sogar nicht nur dabei geholfen, sondern selbst zugestoßen. Er war sogar, selbst ohne Beweise zu haben, davon überzeugt. Von nun an erschien sie ihm über jedes Urtheil erhaben, in dem bewußten, schreckenlosen Verlangen, das sie in ihm entfachte, wie ein geheiligtes Wesen.
    Beide scherzten nun miteinander wie ein junges Pärchen im ersten Stadium beginnender Liebe.
    »Sie sollten mir auch Ihre andere Hand zum Erwärmen geben.«
    »Ich bitte Sie, nicht hier, man könnte uns sehen.«»Wer sollte? Wir sind ja ganz allein … Und dann wäre auch noch nichts Schlimmes dabei. Kinder sitzen nicht so wie wir hier.«
    »Ich glaube es auch.«
    Sie lachte herzlich in ihrer Freude gerettet zu sein. Sie liebte diesen Menschen nicht, sie glaubte sogar, ihrer Sache in dieser Beziehung sicher zu sein. Und als ob sie es sich vorgenommen hätte, träumte sie bereits von der Möglichkeit ihrer Verpflichtungen gegen ihn ledig zu werden. Er benahm sich sehr nett, er würde gewiß nicht in sie dringen und alles würde gut ablaufen.
    »Wohl verstanden, wir sind gute Kameraden, so zwar, daß die andern, selbst mein Gatte, nichts Böses dahinter vermuthen darf. Jetzt lassen Sie meine Hand los und sehen Sie mich nicht mehr so an. Sie werden sich die Augen verderben.«
    Er behielt trotzdem ihre zarten Finger in seiner Hand und sagte stockend, sehr leise:
    »Ich liebe Sie!«
    Sie hatte sich ihm schnell entwunden und stand nun vor ihm aufgerichtet.
    »Was reden Sie da für Dummheiten! Seien Sie vernünftig, man kommt.«
    Es kam in der That eine Amme, mit einem in ihrem Arm schlummernden Säugling näher. Dann ging sehr geschäftig ein junges Mädchen vorüber. Die Sonne sank und badete sich in den violetten Dünsten des Horizontes. Ihre Strahlen verschwanden aus dem Tannendickicht und erstarben in den Spitzen der Tannen als goldener Staub. In dem nimmer rastenden Wagenverkehr schien eine plötzliche Pause eingetreten zu sein, man hörte es fünf Uhr in der Nähe schlagen.
    »Mein Gott,« rief Séverine, »schon fünf Uhr. Ich muß um diese Zeit schon in der Rue du Rocher sein.«
    Ihre Freude entschwand, die Angst vor dem Unbekannten, das sie dort unten erwartete, packte sie von Neuem. Ihr fiel wieder

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