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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Ausgangsstrang. Ein Heizer des Depots füllte soeben die Feuerung auf, rothglühende Kohlen fielen durch die Roste und erloschen zischend in dem schmalen Graben, der eigens zu diesem Zweck durch das Depot gezogen ist. Seine Lokomotive war eine jener Eilzugsmaschinen von vornehmer und doch riesenhafter Eleganz, mit doppelt gekoppelten Achsen, großen behenden, durch eherne Arme mit einander verbundenen Rädern, breitem Brustkasten und mit langgestrecktem und mächtigem Rumpfe, ganz die Eisen gewordene Logik und Sicherheit, durch welche die Lokomotive zur herrschenden Schönheit aller metallenen Wesen geworden ist, die Genauigkeit in Verbindung mit der Kraft. Sie trug ebenso wie die anderen Lokomotiven der Gesellschaft außer der Nummer, und zwar 214, den Namen eines Bahnhofes und zwar von Lison, einer Station des Cotentin. Jacques aber hatte aus Liebe zu seiner Maschine und um ihr zu schmeicheln ihr einen weiblichen Namen gegeben, er nannte sie seine Lison.
    Er liebte diese Lokomotive, die er seit vier Jahren führte. Er hatte vorher andre geführt, gelehrige und schwerfällige, muthige und feige. Er mußte, daß jede von ihnen einen andern Charakter hatte, daß mit vielen von ihnen nichts los war, wie man von einer Frau aus Haut und Knochen sagt. Seine Lison aber liebte er, weil sie die seltenen Eigenschaften einer wirklichen braven Frau hatte. Sie war sanft, gehorsam, leicht in Gang zu bringen und machte, Dank ihrer guten Röhrenanlage, eine ständige, regelmäßige Fahrt. Man behauptete, daß ihr flottes Losfahren von der ausgezeichneten Bandagirung ihrer Räder und namentlich von der exacten Regulirung ihrer Fächer herrührte; daß sie schon bei wenig Feuerung einen genügenden Dampf entwickele, schrieb man der Qualität des Kupfers ihrer Röhren und der glücklichen Wärmevertheilung zu. Aber Jacques wußte, daß sie noch eine Eigenschaft besaß, die ebenso construirte und ebenso sorgfältig montirte Lokomotiven wie die Lison nicht besaßen: sie hatte eine Seele, jenes geheimnißvolle Etwas der Fabrikation, welches der Zufall bei der Hämmerung dem Metall einflößt, das die Hand des Monteurs den einzelnen Bestandtheilen verleiht, das Menschliche, das Leben.Er liebte also die schnell flüchtige und ebenso schnell wie ein feuriges und gelehriges Pferd anzuhaltende Lison wie ein dankbarer Gatte. Er liebte sie, weil sie ihm außer dem festen Einkommen durch die Heizerprämien noch manchen Spargroschen in das Haus brachte. Sie heizte sich so vorzüglich, daß er in der That viel Kohlen sparen konnte. Er hatte ihr nur einen einzigen Vorwurf zu machen, den des zu großen Verbrauchs von Schmierfett: was die Kolben namentlich an Schmiere auffraßen, glich keinem Sattessen mehr, das war schon eine wahre Orgie. Vergebens hatte er sie Mäßigung lehren wollen. Außer Athem war sie dann gleich, ihr Temperament verlangte nun einmal diese Libationen an Schmiere. Er hatte ihr schließlich diese Vielfraßleidenschaft zu gute halten müssen, wie man die Augen schließt vor dem Laster von sonst hochbegabten Personen. Er begnügte sich im Scherz zu seinem Heizer zu sagen, daß die Lison gerade wie andere schöne Frauen das Bedürfnis hätte, zu oft geschmiert zu werden.
    Während der Kessel zischte und die Lison nach und nach unter Druck trat, wanderte Jacques um sie herum, besah jeden einzelnen Bestandtheil und versuchte sich darüber klar zu werden, warum sie am Morgen mehr Schmiere als gewöhnlich begehrt hatte. Er fand indessen nichts Auffälliges, sie leuchtete wie immer sauber und eigen, ein Zeichen dafür, daß sie ein sorgsamer Führer pflegte. Man sah ihn immer putzen und scheuern; namentlich nach der Ankunft in der Endstation rieb er sie kräftig, wie man nach langem Laufe dampfende Pferde trocken zu reiben pflegt; er benutzte ihre Wärme, um die Griffe und Fugen besser rein zu bekommen. Er trieb sie nie an, hielt sie in regelmäßiger Fahrt, vermied jede Verspätung, welche dann mit Sprüngen von gefährlicher Eile wieder eingeholt werden muß. So lebten Beide in einer verträglichen Gemeinschaft. Innerhalb der vier Jahre hatte er kein einziges Mal in dem Register des Depots Beschwerde zu führen gebraucht, in welchem die Lokomotivführer ihrem Verlangen nach Reparaturen Ausdruck zu geben haben. Faule, schlechte und trunkene Maschinisten liegen unaufhörlich mit ihren Lokomotiven im Streit. An jenem Tage aber machte ihn ihr Heißhunger auf Fett doch ängstlich. Es war aber noch etwas anderes, etwas Tiefes, Unfaßbares

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