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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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spärlich gesät sind, so hatten sie sich entschlossen zu warten, bis sich ein Käufer finden würde. Alles, was sie thaten, war, daß sie ein mächtiges Schild an dem Hause anbrachten, dessen Aufschrift von den Vorüberfahrenden ohne Schwierigkeit gelesen werden konnte. Diese Ankündigung in groben Buchstaben von dem Verkaufe dieser Trostlosigkeit erhöhte noch den traurigen Eindruck der geschlossenen Fensterläden und des von Brombeergesträuchen überwucherten Parkes. Roubaud hatte sich entschieden geweigert, selbst auf eine Stunde dorthin zu reisen, und so hatte sich Séverine eines Nachmittags aufgemacht, um dort die nöthigen Anordnungen zu treffen. Sie hatte Misard die Schlüssel eingehändigt und ihn beauftragt, das Besitzthum zu zeigen, wenn sich Käufer einfinden sollten. Innerhalb zweier Stunden konnte man fix und fertig in la Croix-de-Maufras eingerichtet sein, denn selbst die Wäsche in den Schränken war vorhanden.
    Jetzt beunruhigte die Roubaud nichts mehr. In stumpfsinniger Erwartung des kommenden Tages ließen sie Tag für Tag verstreichen. Schließlich mußte doch einmal das Haus sich verkaufen lassen, das Geld wollten sie dann gut anlegen und Alles würde glatt ablaufen. Gewöhnlich aber dachten sie garnicht an das Haus, sie lebten, als hatten sie ihre drei Räume nie verlassen: das Eßzimmer mit der sich auf dengroßen Corridor öffnenden Thür, rechts davon das große Schlafzimmer und links davon die ganz kleine, finstere Küche. Selbst das Bahnhofsdach, diese Zinkanhöhe, die ihnen wie eine Gefängnißmauer jede Aussicht benahm, schien sie jetzt zu beruhigen, anstatt wie früher aufzuregen; das Dach erhöhte in ihnen das Gefühl unendlicher Ruhe und des stärkenden Friedens, der sie umfing. Jedenfalls wurde man von den Nachbarn nicht gesehen und man brauchte keine unbequemen Spionenaugen zu befürchten. Sie beklagten sich auch nicht mehr, war doch nun auch der Frühling und zwar mit erdrückender Hitze ins Land gekommen; das schon von den ersten Sonnenstrahlen erhitzte Zinkdach warf jetzt blendende Reflexe. Nach der gräßlichen Angst von fast zwei, in beständiger Furcht verlebten Monaten freuten sie sich fast andächtig der Gesundung von diesem, schier unendlich geschienenen Schrecken. Sie verlangten garnicht darnach, von sich reden zu machen, sie wünschten sich nur, in bescheidenen, aber glücklichen Verhältnissen weiter leben zu dürfen, ohne zittern und zagen zu brauchen. Noch nie zuvor hatte sich Roubaud als ein so pünktlicher und gewissenhafter Beamter gezeigt wie gerade jetzt: in der Woche, in der er Dienst hatte, erschien er um fünf Uhr Morgens auf dem Perron, um zehn Uhr erst begab er sich zum Frühstück wieder in seine Wohnung, von wo er um elf Uhr zurückkehrte, um bis fünf Uhr Nachmittags ununterbrochen, also volle elf Stunden, thätig zu sein. In der Woche des Nachtdienstes, der von fünf Uhr Abends bis fünf Uhr Morgens angesetzt war, gönnte er sich nicht einmal eine kurze Pause um in seiner Wohnung zu speisen, sondern ließ sich das Essen in das Bureau bringen. Er ertrug diesen schweren Dienst mit einer Art Genugthuung, er schien sich sogar darin zu gefallen, er kümmerte sich um alle Kleinigkeiten, er wollte Alles sehen, kurz es war, als hoffte er in dieser ermüdenden Beschäftigung Vergessenheit des Geschehenen, den Beginn eines neuen gleichmäßigen, durch nichts zu störenden Lebens zu finden. Séverine dagegen, fast stets allein und alle vierzehn Tage Wittwe, da ihr Mann dann nur zum Frühstück und Mittag erschien, schien neuerdings von einem außerordentlichen wirthschaftlichen Fieber ergriffen. Früher hatte sie sich um ihre Häuslichkeit blutwenig gekümmert und die Sorge um dieselbe einer alten Frau, der Mutter Simon,überlassen, die von neun Uhr Morgens bis zum Mittag bei ihr arbeitete, während sie selbst saß und stickte. Seitdem jedoch die Ruhe wieder bei ihr eingekehrt war und sie die Gewißheit hatte, hier noch länger wohnen zu bleiben, beschäftigte sie sich unermüdlich mit dem Reinhalten und Arrangiren ihrer Wirthschaft. Sie setzte sich nicht eher, bis die Arbeit vollständig gethan war. Der Schlaf Beider war ebenfalls ein ausgezeichneter. In ihren seltenen Kosestündchen während der Mahlzeiten oder des Nachts in ihrem gemeinsamen Bette sprachen sie nie wieder von jener Geschichte. Und so durften sie sich endlich den Glauben hinneigen, daß der ganze Vorfall begraben und vergessen sei.
    Séverine besonders führte jetzt ein sehr friedliches Dasein.

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