Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
mitgeschleppt. Séverine war noch wach und las. Man trank und spielte bis nach Mitternacht Karten.
    Von diesem Abend an wurden die Frühstücksmahlzeiten am Montag, die kleinen Donnerstags- und Sonnabends-Gesellschaften ihnen zur Gewohnheit. Fehlte einmal der Kamerad, so war es Roubaud selbst, der ihm aufpaßte und ihm seine Gleichgiltigkeit vorhielt. Er verfiel mehr und mehr in Trübsinn und heiterte sich nur in der Gesellschaft seines neuen Freundes auf. Dieser Mensch, der ihn zuerst so fürchterlich beunruhigt hatte und den er eigentlich noch jetzt als den einzigen Zeugen, als die lebendige Erinnerung an jene abscheulichen Dinge hätte verwünschen müssen, die er so gerne vergessen hatte, dieser Mensch war ihm im Gegentheil unentbehrlich geworden, gerade deßhalb wahrscheinlich, weil er, ein Wissender, nichts gesagt hatte. Auf diese Weise umschloß sie ein festes Band, eine Art Mitschuld. Oft blickte der Unter-Inspector ihn mit einem verständnißinnigen Blick an und drückte ihm in einer plötzlichen Aufwallung mit einer Kraft die Hand, die als Ausdruck bloßen kameradschaftlichen Gefühles etwas befremden mußte.
    Jacques’ Anwesenheit bildete zunächst eine angenehme Zerstreuung für das Ehepaar. Auch Séverine empfing ihn gern; wenn er eintrat, begrüßte ihn ein leiser Freudenruf, wie ihn jede Frau in Erwartung einer vergnügten Stunde ausstößt. Sie ließ ihre Stickerei, ihr Buch liegen und mit einem Male heiter und gesprächig, entfloh sie freudig der grauen Eintönigkeit ihres täglichen Lebens.
    »O wie lieb von Ihnen, daß Sie gekommen sind! Als ich den Eilzug einfahren hörte, habe ich an Sie gedacht.«
    Es war ein Festtag, wenn er bei ihnen frühstückte. Sie kannte schon seinen Geschmack und ging sogar selbst aus, umfrische Eier zu kaufen, wie eine aufmerksame Hausfrau, die den Hausfreund empfängt ohne darin etwas anderes zu erblicken als die Begehr, sich als die Liebenswürdige aufzuspielen und sich zerstreuen lassen zu wollen.
    »Wenn Sie am Montag wiederkommen, mache ich Ihnen auch eine Crême!«
    Als dieser Verkehr einen Monat angedauert hatte, trat aber allmählig eine Entfremdung zwischen dem Ehepaar ein. Die Frau gefiel sich mehr und mehr allein im Bett und richtete sich so ein, daß sie so wenig wie möglich mit ihrem Manne zugleich schlief; und dieser, vordem so brutal sinnliche Mensch that ebenfalls nichts, um sie an sich zu ziehen. Er hatte sie früher ohne jedes zärtliche Empfinden geliebt und sie hatte sich ihm als gefällige Frau hingegeben, sie glaubte, das wäre nicht anders und ginge auch ohne besonderes Vergnügen an der Sache. Aber seit dem Verbrechen war er ihr, sie wußte selbst nicht warum, im Grunde zuwider. Sie war durch dasselbe entnervt, in Angst versetzt. Als eines Abends das Licht noch nicht ausgelöscht war, schrie sie auf: sie glaubte in dem rothen Gesicht mit den verzerrten Zügen über ihr das Antlitz des Ermordeten zu erblicken, und seitdem zitterte sie jedesmal, wenn er ihr zu nahe kam, sie hatte das schreckliche Gefühl, als stürze sich das wiederauferstandene Opfer mit dem Messer in der Faust auf sie. Der Gedanke war wahnsinnig und doch schlug ihr Herz vor Angst. Uebrigens verkehrte er geschlechtlich so wenig als möglich mit ihr, sie empfing ihn viel zu kalt und gleichgültig, als daß sie ihn hätte fesseln können. Eine Abspannung und Gleichgültigkeit, wie sie sonst nur das Alter hervorbringt, war zwischen ihnen eingetreten; es schien als hätte jene fürchterliche Krisis alles Blut aus ihren Adern verjagt. In den Nächten, in denen sie ein gemeinschaftliches Schlafen nicht vermeiden konnten, ließen sie die ganze Breite des Bettes zwischen sich. Jacques trug zu dieser Scheidung wesentlich bei, denn seine Gegenwart machte ihnen ihre gegenseitige Abneigung weniger fühlbar; er erlöste das eine von dem anderen.
    Trotzdem fühlte Roubaud keinerlei Gewissensbisse. Er hatte nur Furcht vor den Folgen gehabt, ehe die Sache
ad acta
gelegt wurde; seine Hauptsorge war gewesen, daß er um seine Stellung kommen könnte. Jetzt bedauerte er das Geschehenein keiner Beziehung weiter. Vielleicht daß er, wäre diese Sache erst jetzt an ihn herangetreten, seine Frau aus dem Spiel gelassen hätte; denn die Frauen sind sofort hin, die seine entschlüpfte ihm immer mehr, er hatte auch eine zu schwere Last auf ihre Schultern gewälzt. Er wäre ihr Herr und Gebieter geblieben, hätte er sie nicht zu seiner Kameradin des Schreckens und zu seiner Anklägerin gemacht. Die Dinge

Weitere Kostenlose Bücher