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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Wenn ihre Blicke diese Stelle zufällig streiften, fühlten sie von Neuem eine üble Empfindung sie begleichen. Sie hatten links vom Fenster die eichene Scheuerleiste aufgehoben und unter ihr die dem Präsidenten abgenommene Uhr nebst den zehntausend Franken, außerdem dreihundert Franken in Gold, die in einem Portemonnaie enthalten waren, verborgen. Roubaud hatte alles das dem Ermordeten nur aus der Tasche gezogen, um den Verdacht auf einen Raubmord zu lenken. Er war kein Dieb. Wie er seiner Frau sagte, wollte er lieber Hungers sterben, als einen Centime von diesem Gelde für sich verwenden oder die Uhr verkaufen. Das Geld dieses alten Mannes, der seine Frau mißbraucht hatte, an dem er nur Gerechtigkeit geübt, dieses von Koth und Blut besudelte Geld war nicht sauber genug, als daß es ein rechtschaffener Mann berühren durfte. Er dachte genau so über das zum Geschenk erhaltene Haus von la Croix-de-Maufras: es ärgerte ihn und bedrückte sein Gewissen schon, daß er außer dieser gräulichen Mordthat auch sein Opfer noch hatte berauben müssen. Und trotzdem hatte er es nicht über sich gewinnen können, die Scheine zu verbrennen und die Uhr und das Portemonnaie eines Abends in das Meer zu werfen. Die einfache Klugheit rieth es ihm, sein Instinct aber widersprach dieser Zerstörung. Unbewußt fühlte er Achtung vor einer solchen Summe, deshalb konnte er sich nicht zu ihrer Vernichtung entschließen. In der ersten Nacht hatte er alles unter sein Kopfkissen gepackt, denn kein Winkel schien ihm sicher genug. An den folgenden Tagen hatte er sich mit dem Auffinden von Verstecken abgemüht. Jeden Morgen vertauschte er es bei dem geringsten Lärm und der Furcht vor einer gerichtlichen Hausdurchsuchung mit einem neuen.Noch nie war er so erfindungsreich gewesen. Eines Tages aber war er der Listen müde geworden und zu faul, die am Abend vorher unter der Scheuerleiste versteckten Wertsachen wieder hervorzuholen. Seitdem lagen sie dort und nichts in der Welt hätte ihn bewegen können, dort herumzukramen: er glaubte, in diesem Loche des Schreckens und Todes müßten Gespenster auf ihn lauern. Er vermied sogar beim Umhergehen im Zimmer mit dem Fuße dieser Stelle zu nahe zu kommen; es wäre ihm eine unangenehme Empfindung gewesen, er meinte, er müßte dann einen leisen Ruck in seinen Beinen fühlen. Wenn Séverine am Nachmittag am Fenster saß, rückte sie ihren Stuhl zurück, um nicht gerade über diesem in dem Fußboden ihres Zimmers aufbewahrten Leichname zu sitzen. Sie sprachen nicht einmal unter vier Augen davon, sie bemühten sich zu glauben, daß sie sich daran gewöhnt hätten, ärgerten sich aber unaufhörlich, ihn noch vorzufinden und ihn stündlich unter ihren Sohlen zu spüren. Er wurde ihnen fast unerträglich. Diese Uebelkeit war um so auffälliger, als sie angesichts des schönen, neuen, von der Frau gekauften und dem Liebhaber in die Gurgel gebohrten Messers gar nichts litten. Es war abgewaschen worden und ruhte jetzt in der Schublade. Mutter Simon benutzte es häufig zum Brotschneiden.
    Roubaud war es, der in den Frieden seines Hauses eine neue Ursache der Unruhe dadurch brachte, daß er Jacques zu häufigen Besuchen nöthigte. Der Turnus des Dienstes führte Jacques dreimal in der Woche nach Havre: am Montag von zehn Uhr fünfunddreißig Minuten früh bis sechs Uhr zwanzig Minuten Abends; am Donnerstag und Sonnabend von elf Uhr fünf Minuten Abends bis sechs Uhr vierzig Minuten Morgens. Am ersten Montag, der auf die Reise Séverine’s folgte, hatte sich der Unter-Inspector an ihn gemacht.
    »Sie dürfen mir es nicht verweigern, Kamerad, einen Bissen bei uns zu essen … Sie haben sich so liebenswürdig meiner Frau angenommen, ich muß mich Ihnen dafür doch erkenntlich zeigen.«
    Jacques hatte auf diese Weise zweimal während eines Monats eine Einladung zum Frühstück angenommen. Roubaud schien eine Erleichterung darin zu finden, daß das unheimliche Schweigen, welches er und seine Frau bei den Mahlzeiten beobachteten, durch die Gegenwart eines Drittenunterbrochen wurde. Sofort konnte er allerlei erzählen, plaudern und scherzen.
    »Kommen Sie, so oft es geht, wieder! Sie sehen, daß Sie uns in keiner Weise geniren.«
    Als Jacques an einem Donnerstag Abend, nachdem er sich rasirt hatte, zu Bette gehen wollte, begegnete er dem um das Depot herum flanirenden Unter-Inspektor. Trotz der vorgerückten Stunde hatte dieser, den es langweilte allein nach Hause gehen zu müssen, den jungen Mann zu sich

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