Die Bestie von Florenz
ich geschrieben habe, dass ich Dich aufrichtig einlade, mich zu besuchen, damit wir gemeinsam die Titelseite des New Yorkers vorbereiten können … Das habe ich nur veröffentlicht, um Dich davon zu überzeugen, dass ich es ernst meine.
Erschrocken über die Bemerkungen über The New Yorker und diese Andeutung, die Bestie könne jemanden ermorden, der mir »nahesteht«, womit sie anderen unheimlichen Bemerkungen zufolge offenbar meine Frau meinte, rief ich Carlizzis Website auf und stellte fest, dass sie eine neue Seite hinzugefügt hatte, auf der das Cover meines Romans Burn Case neben dem Cover eines Buchs von Spezi mit dem Titel Il Passo Dell’Orco prangte.
Gabriella [stand auf der Website] hat keine Zeit verloren und Preston eingeladen, sie zu besuchen und die Bestie und ihre Opfer mit eigenen Augen zu betrachten. Sie legt sich Schwarz auf Weiß darauf fest, in ihrer Antwort auf Prestons E-Mail: »Reserviere mir die Titelseite des New Yorker und komm zu mir, ich werde Dir die Sensation liefern, auf die Du so lange gewartet hast.« Wie wird Douglas darauf reagieren? Wird er die Einladung annehmen oder eine Freundschaft aufs Spiel setzen? The New Yorker wird sich diese exklusive Story gewiss nicht entgehen lassen …
Und vor allem – so fährt Gabriella fort – möchte ich Douglas Preston in aller Aufrichtigkeit fragen: »Und Du, was würde aus Dir, falls eines Tages der Beweis auftauchen sollte, dass ›Deine‹ Bestie ein dummer Fehler ist, dass die wahre Bestie ein ganz anderer ist … Du müsstest feststellen, dass er Dir sehr nahesteht, dass Du mit ihm zusammengearbeitet hast, dass er Dir ein guter Freund geworden ist, dass Du ihn als Kollegen geachtet hast und dass Du niemals vermutet hättest, dass in einer so kultivierten, so sensiblen, so gutwilligen Person ein Labyrinth verborgen war, in dem die Bestie sich versteckt hielt, seit sie ihr Großes Werk des Todes vollbracht hatte … eine Bestie, die hochangesehen ist, die es versteht, alle Welt zu täuschen … Wäre das für Dich, lieber Douglas Preston, nicht die verstörendste Erfahrung Deines ganzen Lebens? Dann könntest Du gewiss den einzigartigsten Thriller der Welt schreiben und mit den Tantiemen, die er Dir bringt, vielleicht sogar The New Yorker kaufen …
Das war es also. Spezi war die Bestie. Der Strom verrückter E-Mails ergoss sich wie die Flut bei Vollmond mehrmals täglich in meinen E-Mail-Eingang. Darin erläuterte Carlizzi lang und breit ihre Theorien und drängte und bettelte, ich solle nach Florenz kommen. Sie deutete an, sie habe ganz spezielle Beziehungen zum Staatsanwalt persönlich, und wenn ich nach Italien käme, könne sie dafür garantieren, dass man mich nicht festnehmen würde. Ja, sie würde sogar dafür sorgen, dass die Ermittlungen gegen mich ganz eingestellt wurden.
… Florenz stand schon immer unter dem Befehl, die wahre Bestie zu verstecken, und solche Befehle kommen von ganz oben, weil die Bestie jederzeit schreckliche Dinge über die pädophilen Neigungen illustrer Staatsdiener enthüllen könnte – mit dieser Drohung werden sie erpresst, den Mörder niemals zu fassen. Lieber Douglas, auch Du wirst unwissentlich in Italien von der Bestie benutzt, die sich gern Deckung hinter berühmten Namen verschafft … Ich flehe Dich an, Douglas, komm sofort zu mir, auch mit Deiner Frau, oder schreibe mir Eure Telefonnummer, ich schicke Dir hier meine, dann können wir gemeinsam beraten … Sag Spezi nichts … Ich werde alles erklären … Ich bete zu Gott, dass Du und Deine Frau mir glaubt … Ich kann Dir alles zeigen …
Eines Tages, wenn Du freundlicherweise meine Biographie schreibst, wirst Du erkennen, dass Du über Phantasie und Fiktion hinauswachsen kannst mit einer wahren Geschichte.
Du kannst Dir sicher vorstellen, dass die Ermittlung selbst bei Nacht und an Feiertagen weiterläuft. Daher flehe ich Dich an, MELDE DICH DRINGENDST BEI MIR! … Vergiss nicht: Diese Sache unterliegt strengster Geheimhaltung.
Lieber Douglas, ich habe noch immer keine Antwort auf meine E-Mails bekommen – gibt es irgendein Problem? Bitte sag mir Bescheid, ich mache mir Sorgen und möchte wissen, was ich tun kann, um Klarheit zu schaffen.
Bald las ich nur noch die Betreffzeilen:
WO BIST DU?
BETEN WIR FÜR MARIO SPEZI.
GLAUBST DU MIR JETZT?
URGENTISSIMO! DRINGEND! DRINGEND!
Und schließlich, einundvierzig E-Mails später:
WO IN ALLER WELT STECKST DU NUR?
Dieser E-Mail-Beschuss entsetzte mich, nicht wegen des schier wahnsinnigen
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