Die Bestie von Florenz
dem Mord an Narducci vor und machte düstere Andeutungen, Spezi sei auch irgendwie in die Morde der Bestie verwickelt.
Spezi ging prompt gerichtlich gegen den Hauptkommissar vor, weil der ihn in dem Buch verleumdet und außerdem gegen das staatliche Geheimhaltungsinteresse bei laufenden Ermittlungen verstoßen hatte. Die Klage reichte er in Mailand ein, wo Giuttaris Buch bei Rizzoli erschien – der Rizzoli-Verlag gehörte zu RCS Libri, die auch unsere Verleger waren. Spezi verlangte die Beschlagnahme und Zerstörung sämtlicher Exemplare von Giuttaris Buch. »Es ist für einen schreibenden Menschen kein Vergnügen, die Beschlagnahme eines Buchs zu verlangen«, schrieb Spezi, »aber das ist die einzige Möglichkeit, meinen guten Ruf zu schützen, der sonst schweren Schaden nehmen würde.«
Spezi verfasste die Klageschrift zum größten Teil selbst, und jedes Wort war geschickt so gesetzt, dass es den Feind am meisten reizte:
Über ein Jahr lang war ich nicht nur Opfer unausgereifter Polizeiarbeit, sondern auch wahrhaftigen Verstößen gegen die Grundrechte ausgeliefert. Dieses Vorgehen – das nicht nur mich betrifft, sondern auch viele andere – erinnert an rechtlose Zustände, wie man sie höchstens in Asien oder Afrika erwarten würde.
Michele Giuttari, ein Beamter der Staatspolizei, hat eine Theorie erdacht und unermüdlich vertreten, der zufolge die Verbrechen der sogenannten Bestie von Florenz das Werk einer geheimnisvollen satanischen, okkulten Sekte seien. Es handele sich bei dem Kult um eine organisierte »Gruppe« von Bürgern aus der gehobenen Mittelschicht (Beamte, Polizisten, Carabinieri, Untersuchungsrichter – und Schriftsteller und Journalisten in ihren Diensten), die Individuen aus der allerärmsten Gesellschaftsschicht damit beauftragt habe, Serienmorde an Liebespärchen zu begehen. Der Satanskult habe sehr viel dafür bezahlt, in den Besitz weiblicher Körperteile zu gelangen zu dem Zweck, sie bei gewissen rätselhaften, nicht näher bestimmten und auch sonst unwahrscheinlichen »Ritualen« zu benutzen.
Den phantastischen Spinnereien dieses Ermittlers zufolge, der sich selbst als so brillant und gewissenhaft darstellt, hat sich diese kriminelle Vereinigung scheinbar ehrenwerter Bürger wüsten Orgien hingegeben, dem Sadomasochismus, der Pädophilie und anderen abscheulichen Perversionen.
Dann versetzte Spezi Giuttaris ungeschützten Weichteilen einen Tiefschlag – seiner schriftstellerischen Begabung. In der Klageschrift zitierte Spezi einen Auszug aus Giuttaris Buch nach dem anderen, zerriss dessen seltsame Logik, machte seine Theorien lächerlich und mokierte sich über Giuttaris Fähigkeiten als Schriftsteller.
Die Klageschrift wurde am 23. März eingereicht, und eine Woche später, am 30. März 2006, wurde das Verfahren eröffnet.
Kapitel 49
Ich war wieder in Amerika und beobachtete den heraufziehenden Sturm aus der Ferne. Spezi und ich hatten eine brüske E-Mail von unserer Lektorin bei RCS Libri bekommen, die über die jüngsten Entwicklungen ernsthaft erschrocken war. Sie hatte große Angst davor, der Verlag könnte in eine hässliche juristische Auseinandersetzung hineingeraten. Besonders empört war sie darüber, dass ich ihre Telefonnummer dem Reporter des Boston Globe gegeben hatte; der hatte sie angerufen und um einen Kommentar gebeten. »Ich muss Ihnen sagen«, schrieb sie mir und Mario, »dass mich dieser Anruf sehr verärgert hat … Ob Sie im Recht sind oder nicht, Ihre persönlichen Streitigkeiten haben nichts mit mir zu tun und interessieren mich auch nicht … Ich ersuche Sie beide dringend, RCS aus jeglichen juristischen Auseinandersetzungen über Ihre persönlichen Angelegenheiten herauszuhalten.«
Ich war neugierig auf diese Gabriella Carlizzi geworden, und irgendwann ging ich online und sah mir ihr Weblog an. Was ich da las, regte mich furchtbar auf. Carlizzi hatte seitenweise persönliche Informationen über mich gepostet. So sorgfältig wie eine Ratte, die sich ihren Wintervorrat anlegt, hatte sie Informationen häppchenweise aus dem ganzen Internet zusammengetragen, irgendjemanden gefunden, der ihr das alles ins Italienische übersetzt hatte (sie beherrschte keine Fremdsprachen), und es dann mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten aus meinen Romanen vermischt – meist Schilderungen davon, wie jemand ermordet wurde. Sie hatte es geschafft, Bemerkungen von mir vor der italienischen Presse auszugraben, von denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass jemand sie
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