Die Bestie von Florenz
weiter aus, bis er vollkommen nackt war.
»Dreimal beugen«, befahl der Wärter.
Spezi verstand nicht ganz, was er meinte.
»So«, sagte ein anderer und deutete ein Knien an. »Dann nach vorn und Kopf zum Boden. Und drücken.«
Nach einer entwürdigenden Untersuchung sollte er sich die Gefängniskleidung aus dem Karton anziehen. Die Wärter ließen ihm ein einziges Päckchen Zigaretten. Sie füllten ein paar Formulare aus und brachten ihn in einen kalten Flur. Einer der Wärter öffnete die Zellentür, und Spezi trat ein. Hinter sich hörte er viermal lautes, metallisches Scheppern, als die Zellentür zugeschlagen, verriegelt und doppelt abgeschlossen wurde.
Zum Abendessen bekam er buchstäblich Wasser und Brot.
Am nächsten Morgen, dem 8. April, durfte Spezi einen seiner Anwälte sehen, der sehr früh zum Gefängnis gekommen war. Später würde ihn angeblich auch seine Frau besuchen dürfen. Die Wärter begleiteten ihn in einen Raum, wo sein Anwalt schon an einem Tisch saß, einen Stapel Akten vor sich. Sie hatten sich kaum Guten Tag gesagt, als ein neuer Wärter mit einem breiten Lächeln auf dem pockennarbigen Gesicht hereinplatzte.
»Dieser Besuch ist hiermit abgesagt. Anweisung der Staatsanwaltschaft. Herr Anwalt, wenn Sie so freundlich wären …?«
Spezi blieb kaum noch Zeit, seinen Anwalt zu bitten, er möge Myriam ausrichten, dass es ihm gut ging, ehe er wieder zu seiner Zelle geführt und allein eingeschlossen wurde.
Fünf Tage sollten vergehen, bis Spezi erfuhr, weshalb man ihm plötzlich den Kontakt zu einem Rechtsanwalt verboten und ihn in Isolationshaft genommen hatte. Das übrige Italien erfuhr es am nächsten Morgen. Am Tag von Spezis Verhaftung hatte Staatsanwalt Mignini die Untersuchungsrichterin in Spezis Fall, Marina De Robertis, gebeten, ein Gesetz heranzuziehen, das normalerweise nur auf gefährliche Terroristen und Mafiabosse angewandt wurde, die eine unmittelbare Bedrohung für den italienischen Staat darstellten. Deshalb durfte Spezi keinen Kontakt zu seinen Anwälten aufnehmen und wurde isoliert. Der Sinn des Gesetzes bestand eigentlich darin, zu verhindern, dass ein Gewaltverbrecher über seine Anwälte oder Besucher den Befehl zur Ermordung oder Einschüchterung von Zeugen erteilte. Jetzt wurde es also auf den äußerst gefährlichen Mario Spezi angewandt. In der Presse hieß es später, dass mit Spezi sogar noch härter verfahren worden sei als mit Bernardo Provenzano, dem allerhöchsten Mafiaboss, der vier Tage nach Spezi in der Nähe von Corleone auf Sizilien verhaftet wurde.
Fünf Tage lang wusste niemand, was aus Spezi geworden war, wo er steckte oder was man ihm möglicherweise antat. Sein justizielles Verschwinden bereitete seiner Familie und allen seinen Freunden seelische Qualen. Die Behörden weigerten sich, irgendwelche Informationen über ihn preiszugeben, über seinen Gesundheitszustand oder die Haftbedingungen. Spezi verschwand ganz einfach im Capanne-Gefängnis wie in einem schwarzen Schlund.
Kapitel 52
Währenddessen dachte ich in Amerika an Niccolòs Worte – dass diese Sache Italien vor der ganzen Welt beschämen würde. Ich war fest entschlossen, genau dafür zu sorgen. Ich hoffte, in Amerika einen Aufruhr zu verursachen, der den italienischen Staat in die größte Verlegenheit bringen und ihn zwingen würde, diesem Justizirrtum sofort abzuhelfen.
Ich rief jede mir bekannte Organisation an, die sich mit der Pressefreiheit befasste. Ich formulierte einen Hilferuf und verbreitete ihn im Internet. Er schloss mit den Worten: »Ich bitte euch alle, um der Wahrheitsliebe und der Pressefreiheit willen, Spezi zu Hilfe zu kommen. So etwas darf in dem wunderschönen, zivilisierten Land, das ich liebe, dem Land, das der Welt die Renaissance geschenkt hat, nicht geschehen.« Der Aufruf enthielt auch die Namen, Adressen und E-Mail-Adressen des Ministerpräsidenten von Italien, Silvio Berlusconi, des Innenministers und des Justizministers. Er wurde von vielen Menschen weitergeschickt, ins Netz gestellt, ins Italienische und Japanische übersetzt und von verschiedenen Bloggern aufgegriffen.
Das Bostoner Zentrum der Schriftstellervereinigung PEN organisierte eine sehr wirkungsvolle Briefaktion. Ein befreundeter Autor, David Morrell (der Schöpfer von Rambo), schrieb einen Protestbrief an die italienische Regierung, wie viele andere bekannte Schriftsteller, die den International Thriller Writers angehörten, einer Autorenorganisation, die ich mitgegründet hatte. Viele
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