Die Bestie von Florenz
dieser Kollegen waren auch in Italien Bestsellerautoren, und ihre Namen hatten Gewicht. Der Atlantic Monthly bat mich, eine Story über den Fall der Bestie und Spezis Verhaftung zu schreiben.
Das Schlimmste war, nichts zu wissen. Spezis Verschwinden hinterließ eine Leere, die sich wie von selbst mit düsteren Spekulationen und schrecklichen Gerüchten füllte. Spezi war dem Oberstaatsanwalt von Perugia ausgeliefert, einem sehr mächtigen Mann, und Hauptkommissar Michele Giuttari, dem die Presse den Spitznamen il super-poliziotto , der Super-Polizist, gegeben hatte, weil er von seinen Vorgesetzten offenbar kaum überwacht wurde. Fünf stille Tage lang musste ich schon beim Aufwachen als Erstes an Spezi im Gefängnis denken, ohne zu wissen, was sie ihm antun mochten, und das machte mich schier verrückt. Unser aller psychische Belastbarkeit hat ihre Grenze, und ich fragte mich, ob sie Spezis Grenze finden würden – denn ihn zu brechen war ganz sicher das, was sie vorhatten.
Jeden Vormittag saß ich in meiner Waldhütte in Maine, nachdem ich jeden Anruf erledigt hatte, der mir nur einfallen wollte, und zitterte vor Frustration. Ich fühlte mich so hilflos, während ich auf Rückrufe wartete und darauf, dass die Organisationen, an die ich mich gewandt hatte, irgendetwas unternahmen.
Der leitende Redakteur des New Yorker hatte mich mit Ann Cooper in Kontakt gebracht, der Geschäftsführerin des Committee to Protect Journalists (CPJ), einer Organisation mit Sitz in New York. Das Komitee erfasste die Dringlichkeit der Lage besser als alle anderen und handelte sofort. Das CPJ begann unverzüglich mit einer unabhängigen Überprüfung des Falls Spezi in Italien, geleitet von Nina Ognianova, der Europa-Koordinatorin, die Journalisten, Polizisten, Richter und Spezis Kollegen befragte.
In den ersten Tagen nach Spezis Verhaftung scheuten die meisten großen Tageszeitungen in Italien – vor allem in der Toskana und in Umbrien und ganz besonders Marios »Heimatzeitung« La Nazione – davor zurück, ausführlich über die Zusammenhänge zu berichten. Sie vermeldeten, dass Spezi festgenommen worden war und was ihm vorgeworfen wurde, behandelten das Ganze aber als einfachen Kriminalfall. Die meisten schwiegen in Bezug auf die übergeordneten Fragen, die seine Festnahme aufwarf, etwa die Pressefreiheit. Es gab kaum Protest. Nur wenige Journalisten kommentierten einen der hinterhältigsten Vorwürfe gegen Spezi, nämlich den, er habe »vermittels der Presse eine offizielle Ermittlung behindert«. (In den Büros der Nazione , so erfuhren wir später, stritten viele von Spezis Kollegen mit der Geschäftsleitung wegen der feigen Berichterstattung über den Fall.)
In meinen Gesprächen mit italienischen Freunden und Journalisten stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass nicht wenige vermuteten, zumindest ein Teil der Anschuldigungen sei wahr. Vielleicht, so erklärten einige meiner italienischen Kollegen zögerlich, kannte ich Italien doch nicht so gut, denn so etwas täten italienische Journalisten ständig. Sie empfanden meine Empörung als naiv und ein wenig tölpelhaft. Sich zu empören bedeutet, ernst zu sein, aufrichtig zu sein – und der Gelackmeierte. Manche italienischen Bekannten nahmen nur allzu rasch die Pose des weltmüden Zynikers ein, der nichts für bare Münze nimmt und viel zu clever ist, um auf Spezis und meine Unschuldsbeteuerungen hereinzufallen.
»Ach!«, sagte Graf Niccolò bei einer unserer Unterhaltungen. »Aber natürlich habt ihr beim Besuch der Villa nichts Gutes im Schilde geführt! Die dietrologia lässt gar keinen anderen Schluss zu. Nur ein Naivling würde glauben, dass zwei Journalisten wie ihr zu dieser Villa fahren würden, um ›sich nur mal umzusehen‹. Die Polizei hätte Spezi doch nicht ohne jeden Grund verhaftet! Verstehst du, Douglas, ein Italiener muss immer furbo erscheinen. Für dieses prächtige Wort gibt es keine gute Übersetzung. Es bezeichnet einen Menschen, der gewieft und schlau ist, der weiß, woher der Wind weht, der andere zum Narren halten, aber nie selbst genarrt werden kann. Jeder in Italien will von anderen grundsätzlich das Schlechteste denken, um nie leichtgläubig zu erscheinen. Vor allem wollen sie als furbo angesehen werden.«
Als Amerikaner fiel es mir schwer, das Klima der Angst und Einschüchterung um dieses Thema zu begreifen. Wahre Pressefreiheit gibt es in Italien nicht, vor allem, weil jeder Regierungsbeamte wegen » diffamazione col mezzo della stampa
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