Die Bestie von Florenz
Wohlstands war die Familie Narducci in Perugia nicht sonderlich beliebt. Hinter der Fassade aus Reichtum und Privilegien war man, wie so oft, nicht eben glücklich. Francesco Narducci hatte einige Zeitlang immer höhere Dosen von Demerol (Pethidin, ein Opioid) genommen, einem medizinischen Untersuchungsbericht zufolge zum Zeitpunkt seines Todes sogar täglich.
Der Morgen des 8. Oktober 1985 war heiß und sonnig. Der Arzt machte seine Visite im Policlinico di Monteluce in Perugia, bis ihn eine Krankenschwester gegen halb eins ans Telefon rief. Danach ist die Beweislage wirr. Ein Zeuge behauptete, dass Narducci nach dem Anruf seine Runde durch die Station verkürzte und nervös und abwesend wirkte. Ein anderer sagte aus, er habe seine Visite normal beendet, das Krankenhaus ganz wie immer verlassen und noch einen Kollegen gefragt, ob er Lust auf eine Spritztour mit dem Boot hätte.
Um halb zwei Uhr kam er zu Hause an und aß mit seiner Frau zu Mittag. Um zwei Uhr erhielt der Besitzer des Yachthafens, in dem Narducci ein Bootshaus hatte, einen Anruf von dem Arzt, der wissen wollte, ob sein Motorboot startbereit sei. Der Mann bestätigte das. Doch als Narducci das Haus verließ, belog er seine Frau: Er behauptete, er wolle zurück ins Krankenhaus und werde recht früh nach Hause kommen.
Narducci machte sich mit seiner Honda 400, einem Geländemotorrad, auf zum See, aber nicht direkt zum Yachthafen. Erst fuhr er zum Haus seiner Familie in San Feliciano. Es gab Gerüchte, welche die Ermittler jedoch nicht bestätigen konnten, dass er dort einen Brief schrieb und in einem versiegelten Umschlag auf einem Fensterbrett hinterließ. Der Brief, so es ihn denn je gegeben hat, wurde nie gefunden.
Um halb vier schließlich kam der Arzt am Yachthafen an. Er sprang in sein Motorboot, ein schnittiges rotes Grifo, und ließ den 70-PS-Motor an. Der Besitzer des Yachthafens riet ihm noch, nicht zu weit zu fahren, weil der Benzintank halb leer war. Francesco entgegnete, er brauche sich keine Sorgen zu machen, und hielt auf die Insel Polvese zu, anderthalb Kilometer vom Ufer entfernt.
Er kehrte nie zurück.
Als es gegen halb sechs allmählich dunkel wurde, machte sich der Hafenbesitzer doch Sorgen und rief Francescos Bruder an. Um halb acht schickten die Carabinieri ein Boot los, das sich an der Suche beteiligte. Aber der Trasimenische See ist einer der größten Seen Italiens, und erst am nächsten Abend fand man das rote Motorboot leer auf dem Wasser treibend. An Bord waren eine Sonnenbrille, eine Geldbörse und eine Schachtel Merit-Zigaretten, Narduccis Marke.
Fünf Tage später wurde die Leiche gefunden. Es gab nur ein einziges Schwarzweißfoto von der Szene, nachdem der Leichnam aus dem Wasser geholt worden war. Es zeigte die Leiche längs auf einem Steg ausgestreckt, Leute standen darum herum.
Gabriella Carlizzi hatte dem Staatsanwalt erzählt, der gefundene Tote sei nicht Narducci, sondern ein anderer Mann, der in den See geworfen worden war, weil Narduccis Leichnam Spuren des Mordes trug. Um diese Aussage zu überprüfen, ließ Giuttari das Foto analysieren. Die Experten legten die Breite der Bootssteg-Planken als Maß zugrunde und kamen zu dem Schluss, dass der Mann, dessen Leiche auf dem Foto zu sehen war, zehn Zentimeter kleiner gewesen war als Narducci. Außerdem war der Taillenumfang viel zu groß für den schlanken Narducci.
Andere Fachleute widersprachen. Einige wiesen darauf hin, dass eine Leiche nach fünf Tagen im Wasser doch meist stark angeschwollen sei. Die Planken eines Bootsstegs sind nicht alle gleich breit, und der fragliche Steg war inzwischen durch einen neuen ersetzt worden. Wie sollte man die Breite der Planken von vor siebzehn Jahren feststellen? Und die Leute in der Menge, die unmittelbar neben dem Leichnam gestanden hatten, darunter der Gerichtsmediziner selbst, schworen, es sei Narduccis Leiche gewesen. Damals trug der Gerichtsmediziner als Todesursache Ertrinken ein und schätzte, dass der Zeitpunkt des Todes etwa hundertzehn Stunden zurückliege.
Obwohl das italienische Gesetz eine Autopsie vorschrieb, wurde diese nicht vorgenommen. Narduccis Familie, angeführt von seinem Vater, hatte es geschafft, die Vorschrift zu umgehen. Damals nahmen die Leute in Perugia einfach an, dass die Familie fürchtete, eine Autopsie könnte enthüllen, dass Narducci bis obenhin voll mit Pethidin war. Doch Giuttari und die GIDES fanden die ausgelassene Autopsie sehr bedeutungsvoll. Sie behaupteten, die Familie
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