Die Bestie von Florenz
hätte sich um die Autopsie herumgemogelt, weil dabei zutage gekommen wäre, dass der Tote gar nicht Narducci war. Die Familie war in irgendeiner Weise nicht nur mitschuldig an seiner Ermordung, sondern auch daran, dass sein Leichnam durch einen anderen ersetzt worden war, um das Verbrechen zu vertuschen.
Francesco Narducci – so lautete jedenfalls Giuttaris Theorie – war ermordet worden, weil er der Teufelssekte angehörte, die hinter den Morden der Bestie von Florenz steckte. Sein Vater hatte ihn in den Geheimbund eingeführt. Er war zum Hüter der grausigen Fetische ernannt worden, die Pacciani und seine Picknick-Freunde beschafft hatten. Erschüttert von den Zuständen, in die er hineingeraten war, wurde der junge Arzt immer unsicherer, unzuverlässiger, er litt unter Depressionen und war schließlich nicht mehr vertrauenswürdig. Die Anführer des Geheimbundes entschieden, dass er eliminiert werden musste.
Die Satanskult-Ermittlung, geführt von Hauptkommissar Giuttari und bereits totgeglaubt, wurde wiederbelebt. Giuttari hatte nun mindestens ein Mitglied der verhassten Sekte identifiziert – Narducci. Jetzt brauchte man nur noch dessen Mörder zu finden und die anderen Mitglieder der Sekte ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Kapitel 38
Während die Bestien-Ermittlungen immer heißer wurden, rief Mario wieder regelmäßig an. »Hast du heute Morgen schon die Zeitung gelesen?«, fragte er zum Beispiel. »Merkwürdig, sehr merkwürdig!« Dann tranken wir zusammen bei mir eine Tasse Kaffee, brüteten über den Neuigkeiten und schüttelten die Köpfe. Damals fand ich das alles amüsant, ja reizvoll.
Spezi fand es weniger reizvoll. Er wollte vor allem, dass im Fall der Bestie endlich die Wahrheit ans Licht kam. Er war leidenschaftlich entschlossen, die Bestie zu entlarven. Er hatte die toten Opfer gesehen; ich nicht. Er hatte die meisten Hinterbliebenen kennengelernt und mitbekommen, was die Morde auch bei ihnen angerichtet hatten. Ich hatte mir ein paar Tränen weggewischt, nachdem wir Winnie Rontinis finsteres Haus verlassen hatten, aber Spezi wischte sich schon seit zwanzig Jahren Tränen von den Wangen. Er hatte mit ansehen müssen, wie das Leben unschuldiger Menschen durch falsche Anschuldigungen zerstört worden war. Was ich herrlich schräg und wunderlich fand, war für ihn todernst. Zuzuschauen, wie die Ermittler sich immer tiefer ins Unterholz der Absurdität verrannten, bereitete ihm großen Kummer.
Am 6. April 2002 wurde im Beisein der Presse der Sarg von Francesco Narducci exhumiert und geöffnet. Darin ruhte sein Leichnam, selbst nach siebzehn Jahren noch auf den ersten Blick zu erkennen. Ein Gentest bestätigte es.
Durch diesen Schlag gegen ihre Hypothese ließen sich die GIDES, Giuttari und der Chefankläger von Perugia aber nicht aufhalten. Selbst die Tatsache, dass kein fremder Leichnam hineingelegt worden war, stellte für sie einen positiven Beweis dar. Der Leichnam war viel zu gut erkennbar für einen Kadaver, der fünf Tage lang im Wasser und weitere siebzehn Jahre lang in einem Sarg gelegen hatte. Giuttari und Mignini schlossen daraus, dass der Leichnam erneut ausgetauscht worden sei. Ja, Sie haben richtig gelesen: Narduccis echter Leichnam war siebzehn Jahre lang irgendwo versteckt worden; dann hatte man ihn wieder gegen den falschen Leichnam ausgetauscht und den richtigen in den Sarg gelegt, weil die Verschwörer vor der bevorstehenden Exhumierung gewarnt worden waren.
Narduccis Leiche wurde zur Gerichtsmedizin in Pavia geschafft, wo sie auf Anzeichen für einen Mord untersucht wurde. Im September kam das Untersuchungsergebnis. Der Gerichtsmediziner berichtete von einer Fraktur des linken Zungenbeinhorns, die es »mehr oder weniger wahrscheinlich« machte, dass der Tod durch »Ersticken, hervorgerufen durch gewaltsames Einschnüren des Halses (entweder durch Erwürgen mit den Händen oder Strangulation mit anderen Mordwerkzeugen)« eingetreten sei.
Mit anderen Worten, Narducci war ermordet worden.
Wieder feierten die Zeitungen ein Fest. La Nazione trompetete auf der Titelseite:
WAHRSCHEINLICH WAR ES MORD!
GEFÄHRLICHE GEHEIMNISSE
Wurde Narducci ermordet, weil er etwas wusste oder gesehen hatte, das er nicht hätte sehen dürfen? Fast alle derzeitigen Ermittler sind inzwischen von der Theorie überzeugt, dass ein Geheimbund und hochrangige Drahtzieher hinter den Doppelmorden stecken, die Pacciani und seine Picknick-Freunde verübt haben … Eine Gruppe von etwa zehn Personen
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