Die Bestie von Florenz
einen ihrer Drohanrufe aufgezeichnet und das Band der Staatsanwaltschaft geschickt.
Eines Morgens erhielt ich in meinem Arbeitszimmer im Bauernhaus in Giogoli einen Anruf von Mario. »Die Bestie ist wieder in den Nachrichten«, sagte er. »Ich mache mich auf den Weg zu euch. Setz schon mal Kaffee auf.«
Er brachte einen ganzen Stapel Morgenzeitungen mit. Ich begann sofort zu lesen.
»Seien Sie vorsichtig, sonst tun wir Ihnen dasselbe an wie dem toten Arzt im Lago Trasimeno« , zitierten die Zeitungen die Aufnahme des Drohanrufs. Das war alles: keine Namen oder Fakten. Aber Staatsanwalt Mignini las in diese Worte eine Menge hinein. Offenbar auf Grundlage von Informationen, die ihm Carlizzi gegeben hatte, kam er zu dem Schluss, dass Francesco Narducci 1985 von den Kredithaien ermordet worden sei, von denen einige womöglich zum Orden der Roten Rose oder einer anderen Teufelssekte Kontakt hatten. Folglich war es möglich, dass zwischen den Kredithaien, dem Tod Narduccis und den Morden der Bestie von Florenz irgendeine Verbindung bestand.
Oberstaatsanwalt Mignini informierte Hauptkommissar Giuttari über die Verbindung zum Fall der Bestie, und Giuttari und seine GIDES-Sonderkommission machten sich entschlossen daran, nachzuweisen, dass Narducci keinen Selbstmord begangen hatte. Er war ermordet worden, damit er die schrecklichen Geheimnisse, die ihm bekannt waren, nicht ausplauderte. Mignini hatte angeordnet, dass der Fall Narducci als Mordfall neu aufgerollt wurde.
»Ich kann der ganzen Sache nicht folgen«, sagte ich und versuchte, die Zeitung zu verstehen. »Das ergibt für mich keinen Sinn.«
Spezi nickte mit zynischem Lächeln. »Zu meiner Zeit hätte ich diese merda nicht gedruckt. Mit dem italienischen Journalismus geht es bergab.«
»Zumindest«, sagte ich, »ist das neuer Stoff für unser Buch.«
Einige Zeit später brachten die Zeitungen weitere Neuigkeiten über die Geschichte. Diesmal druckten sie eine neue Version der angeblichen Tonbandaufnahme aus nach wie vor unbestätigter Quelle ab. Jetzt sollte der Kredithai angeblich gesagt haben: »Seien Sie vorsichtig, sonst tun wir Ihnen dasselbe an wie Narducci und Pacciani!« Diese Version der Aufnahme brachte den toten Arzt Narducci direkt mit dem angeblichen Mörder Pacciani in Verbindung – also auch mit dem Fall der Bestie.
Später würde Spezi aus einer anderen Quelle erfahren, dass die Drohung auf dem Band in Wahrheit allgemeiner formuliert gewesen war: Sonst geht es Ihnen wie dem toten Arzt am See. Weder Narducci noch Pacciani wurden namentlich erwähnt. Nachforschungen ergaben, dass es da einen weiteren Arzt gegeben hatte, einen Mann, der über zwei Milliarden Lire am Spieltisch verloren hatte. Sein Leichnam war nicht lange vor dem Drohanruf am Ufer des Lago Trasimeno gefunden worden, mit einer Kugel im Kopf. Der Ausdruck » am See« und nicht, wie es zuvor geheißen hatte, » im See« wies eher auf diesen zweiten Arzt hin und nicht auf Narducci, der immerhin fünfzehn Jahre vor besagtem Anruf gestorben war.
Doch als diese neue Information hinzukam, war die Ermittlung des vermeintlichen Mordes an Dr. Narducci bereits zum Moloch geworden, unaufhaltsam. Giuttari und seine Elite-Kommission GIDES suchten – und fanden! – zahlreiche Verbindungen zwischen Narduccis Tod und den Morden der Bestie von Florenz. Die neuen Hypothesen warteten mit saftigen Grusel-Szenarien auf, die man an die Presse durchsickern ließ. Dr. Narducci, so berichtete diese, hatte über die Fetische gewacht, die den ermordeten Frauen herausgeschnitten worden waren. Er war selbst ermordet worden, damit er nicht redete. Einige der reichsten Familien in Perugia waren in finstere Geheimbünde verwickelt, vielleicht unter dem Deckmantel der Freimaurer, jener Bruderschaft, der sowohl Narduccis Vater als auch sein Schwager angehörten.
Giuttari und seine Leute von der GIDES rekonstruierten auf der Suche nach Anhaltspunkten peinlich genau den letzten Tag in Narduccis Leben.
Dr. Francesco Narducci entstammte einer reichen Peruginer Familie. Der junge Mann war mit Verstand und Begabung gesegnet und mit sechsunddreißig Jahren der jüngste Professor auf dem Gebiet der Gastroenterologie in ganz Italien. Auf Fotos sieht er auf jungenhafte Weise sehr gut aus, braungebrannt und lächelnd, fit und elegant. Narducci war mit Francesca Spagnoli verheiratet, der wunderschönen Erbin des Vermögens von Luisa Spagnoli, einer Damenmode-Designerin.
Trotz, oder gerade wegen, ihrer Macht und ihres
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