Die Bestimmung - Letzte Entscheidung: Band 3 (German Edition)
können. Und vor dem Reinheitskrieg hat es so etwas nicht gegeben, oder? « Er fuchtelt mit der Hand, um auf die Welt draußen zu deuten.
» Ich weiß nicht « , antworte ich. » Es fällt mir schwer, das zu glauben. «
» Was für eine düstere Meinung du von der menschlichen Natur hast « , bemerkt er.
Ich reagiere nicht.
» Wie dem auch sei « , fährt er fort, » wenn so etwas in unserer jüngsten Geschichte passiert wäre, würde das Amt doch garantiert davon wissen. «
Für jemanden, der in meiner Stadt gelebt und zumindest auf den Bildschirmen gesehen hat, wie viele Geheimnisse wir voreinander haben, kommt er mir ziemlich naiv vor. Evelyn versucht, Menschen zu kontrollieren, indem sie Waffen kontrolliert. Jeanine ist viel ehrgeiziger gewesen – sie wusste, dass man, wenn man Informationen kontrolliert oder manipuliert, keine Gewalt braucht, um Menschen in Schach zu halten. Sie fügen sich freiwillig.
Das ist es, was das Amt – und wahrscheinlich die ganze Regierung – tut: Sie konditioniert Menschen, damit sie glücklich darüber sind, sich fügen zu dürfen.
Für eine Weile fahren wir schweigend weiter, lediglich begleitet vom Klappern der Ausrüstungsgegenstände und vom Brummen des Motors. Anfangs sehe ich mir jedes Gebäude, an dem wir vorbeikommen, genau an und frage mich, was früher einmal darin gewesen ist, aber bald verschwimmen die Häuser in meinem Kopf. Wie viele verschiedene Arten von Ruinen muss man sehen, bevor man sich damit abfindet, sie alle » Ruinen « zu nennen?
» Wir sind fast da « , ruft George aus dem mittleren Teil des Trucks. » Wir steigen jetzt aus und gehen zu Fuß weiter. Jeder trägt einen Teil der Ausrüstung, nur Amar nicht, er soll sich um Tris kümmern. Tris, du kannst gern aussteigen und dich umsehen, aber bleib bei Amar. «
Ich habe das Gefühl, als lägen meine Nerven zu dicht an der Oberfläche und als würde die leiseste Berührung sie in Brand stecken. An diesen Ort hat meine Mutter sich zurückgezogen, nachdem sie einen Mord mit angesehen hatte – bis die Leute vom Amt sie gefunden und herausgeholt haben, weil sie an ihrem genetischen Code interessiert waren. Jetzt werde ich dort entlanggehen, wo in gewisser Weise alles begonnen hat.
Der Truck hält an und Amar schiebt die Türen auf. Er nimmt seine Waffe und fordert mich mit einer Geste auf, zu folgen. Ich springe hinter ihm aus dem Wagen.
Es gibt zwar Gebäude, aber die sind nicht annähernd so auffallend wie die improvisierten Behausungen aus Metall und Plastikplanen, die sich dicht aneinanderreihen, wie um sich gegenseitig Halt zu geben. In den schmalen Gassen dazwischen halten sich Menschen im Freien auf, größtenteils Kinder, die Dinge von Tabletts verkaufen oder Wassereimer tragen oder über offenen Feuern kochen.
Als diejenigen, die uns am nächsten sind, auf uns aufmerksam werden, rennt ein kleiner Junge davon und schreit: » Überfall! Überfall! «
» Keine Sorge « , sagt Amar zu mir. » Sie halten uns für Soldaten. Manchmal kommen die hierher, um die Kinder in Waisenhäuser zu bringen. «
Ich nehme die Bemerkung nur halb zur Kenntnis und gehe in eine der Gassen. Die meisten Leute laufen weg oder verbarrikadieren sich in ihren Behausungen hinter Pappkartons oder Planen. Ich sehe sie durch die Ritzen zwischen den Wänden, die Hütten bieten gerade genug Platz für Nahrungsmittel und Vorräte auf einer Seite und Schlafmatten auf der anderen. Ich frage mich, was sie im Winter machen. Oder was sie als Toilette benutzen.
Ich denke an die Blumen und an die Holzböden und an all die leer stehenden Betten im Hotel und frage: » Helft ihr ihnen jemals? «
» Wir sind der Ansicht, dass wir unserer Welt am ehesten helfen, indem wir genetische Mängel beheben « , antwortet Amar, als zitiere er die Worte aus dem Gedächtnis. » Menschen Essen zu geben, ist wie einen winzigen Verband auf eine klaffende Wunde zu kleben. Er kann die Blutung für eine Weile stillen, aber danach ist die Wunde immer noch da. «
Ich kann nicht antworten, deshalb schüttle ich nur leicht den Kopf und gehe weiter. Langsam verstehe ich, warum meine Mutter sich den Altruan angeschlossen hat, obwohl sie für die Ken vorgesehen war. Wenn sie lediglich darauf aus gewesen wäre, sich nicht auf die wachsende Korruption der Ken einzulassen, hätte sie ja auch zu den Amite oder den Candor gehen können. Aber sie hat die Fraktion gewählt, wo sie den Bedürftigen helfen konnte, und den größten Teil ihres Lebens dafür geopfert,
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