Die Bestimmung - Letzte Entscheidung: Band 3 (German Edition)
Waffengewalt. «
» Du kannst gerne hierbleiben, wenn du willst « , sage ich.
» Solange du das Serum hast, weiche ich nicht von deiner Seite « , sagt er. » Aber wenn du angeschossen wirst, schnappe ich mir die Ampulle und haue ab. «
» Nichts anderes erwarte ich von dir. «
Er ist ein seltsamer Mensch.
Ich betrete die Eingangshalle, wo das Porträt von Jeanine Matthews wieder an der Wand hängt – allerdings sind ihre Augen inzwischen mit zwei roten X überpinselt und quer über das Bild hat jemand » Fraktions-Abschaum « geschrieben.
Mehrere Menschen mit den Armbinden der Fraktionslosen versperren uns mit ihren Waffen im Anschlag den Weg. Einige von ihnen kommen mir von den Lagerfeuern bei den Vorratshäusern der Fraktionslosen bekannt vor, andere kenne ich noch aus den Tagen, in denen ich als Ferox-Anführer an Evelyns Seite stand. Wieder andere habe ich noch nie gesehen, und einmal mehr wird mir bewusst, dass die Zahl der Fraktionslosen viel höher ist, als wir je vermutet hätten.
Ich hebe die Hände. » Ich bin hier, um mit Evelyn zu sprechen. «
» Klar doch « , sagt einer der Fraktionslosen. » Weil wir einfach jeden reinspazieren lassen, der sie sprechen will. «
» Ich habe eine Nachricht von denen jenseits des Zauns « , sage ich. » Eine, die sie sicher gerne hören würde. «
» Tobias? « , fragt eine Frau. Ich erkenne sie, aber nicht von einem der Lagerhäuser, sondern von den Altruan. Sie war früher einmal meine Nachbarin. Grace ist ihr Name.
» Hallo, Grace « , begrüße ich sie. » Ich wollte mit Mom sprechen. «
Grace beißt sich auf die Innenseite ihrer Wange und mustert mich. Ihr Griff um die Waffe lockert sich. » Eigentlich dürfen wir niemanden reinlassen. «
» Um Himmels willen « , schaltet sich Peter ein. » Jetzt geh schon und sag ihr, dass wir hier sind, dann kann sie selbst entscheiden. Wir warten solange. «
Grace schiebt sich rückwärts durch die Menschentraube, die sich in der Zwischenzeit um uns gebildet hat, dann senkt sie die Waffe und eilt in einen Korridor.
Wir stehen eine gefühlte Ewigkeit so da, meine Schultern beginnen unter dem Gewicht meiner erhobenen Arme zu brennen. Schließlich kehrt Grace zurück und winkt uns zu sich. Ich nehme die Hände herunter und die Fraktionslosen senken ihre Waffen. Dann gehe ich in Richtung Foyer, fädele mich durch die Menge wie durch ein Nadelöhr. Grace führt uns zu einem Aufzug.
» Warum trägst du eine Waffe, Grace? « , frage ich. Mir ist noch nie ein Altruan untergekommen, der freiwillig eine Waffe angerührt hätte.
» Die Fraktionsregeln sind Vergangenheit « , antwortet sie. » Jetzt kann ich mich verteidigen, hier muss ich meinen Selbsterhaltungstrieb nicht mehr verleugnen. «
» Gut « , entgegne ich und meine es ernst. Die Altruan waren genauso zerrüttet wie die anderen Fraktionen, nur fielen bei ihnen die Abgründe unter dem Deckmantel der Selbstlosigkeit weniger auf. Aber die Menschen zu zwingen, als farblose Schatten ihrer selbst zu leben, immer und überall hinter sich selbst zurückzustehen, ist nicht viel besser, als die Leute dazu anzustacheln, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.
Wir kommen in dem Stockwerk an, in dem Jeanines Verwaltungsbüro lag – aber dorthin führt Grace uns nicht. Stattdessen bringt sie uns in einen großen Konferenzraum mit quadratischen Tischen, Sofas und Sesseln, die ordentlich aufgereiht stehen. Riesige Fenster in der hinteren Wand lassen das Mondlicht herein. Evelyn sitzt an einem Tisch auf der rechten Seite und starrt aus dem Fenster.
» Du kannst gehen, Grace « , sagt Evelyn. » Du hast eine Nachricht für mich, Tobias? «
Sie blickt mich nicht an. Ihr dickes Haar ist zu einem Knoten geschlungen und sie trägt ein graues Oberteil mit einer Fraktionslosen-Armbinde darüber. Sie wirkt erschöpft.
» Würde es dir was ausmachen, im Flur zu warten? « , frage ich Peter, und zu meiner Überraschung beschwert er sich nicht, sondern dreht sich wortlos um und zieht die Tür hinter sich zu.
Meine Mutter und ich sind allein.
» Die Menschen draußen haben keine Nachricht mehr für uns « , sage ich und gehe einen Schritt auf sie zu. » Sie wollen allen Leuten in der Stadt ihre Erinnerungen rauben. Sie glauben, dass man nicht vernünftig mit uns sprechen kann, nicht an das Bessere in uns appellieren kann. Sie finden es einfacher, uns auszulöschen, als mit uns zu sprechen. «
» Vielleicht haben sie recht « , erwidert Evelyn. Sie dreht sich zu mir um und
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