Die Bestimmung
Festungsartiges. Geometrische Muster aus schwarz, beige-und terrakottafarbenen Marmorfliesen bedeckten den Boden. Jeweils drei Säulen des gleichen Materials trugen scheinbar die zu beiden Seiten gelegenen Eingänge, die zu den Ausstellungsräumen führten. Über dem Eingang und jetzt hinter ihnen waren drei große Buntglasfenster, durch die das Straßenlicht stark gedämpft wirkte. An der etwa sieben Meter hohen grauen Steindecke hingen in geraden Reihen Leuchter an dunklen Ketten, die aussahen, als seien sie aus dem Wohnzimmer einer alten Dame entwendet worden. Sie verbreiteten eher schummeriges Licht. Geradeaus waren die Treppen zu sehen, die jeweils links und rechts in das obere Stockwerk führten. Genau in der Mitte davon klaffte ein düsteres, eckiges Loch, das wie der Eingang zu einem Mausoleum wirkte, einer Grabkammer. An seiner Seite zwei Engel und darunter der Spruch: Der Mensch ist ungleich – ungleich sind die Stunden.
Man sah dem Bau an, dass er zu einer Zeit entworfen worden war, in der man das Wuchtige und Klassische bevorzugt hatte. Es erinnerte alles ein wenig an römische Baukunst. Es roch irgendwie muffig, aber vielleicht lag es auch daran, dass zu viele Menschen mit nassen Sachen hier durchmarschiert waren.
Ein in dunklem Blau gekleideter Mann stand auf den Stufen der Eingangshalle und hob die Arme, um sich Gehör zu verschaffen. Er schwitzte.
«Verehrte Damen und Herren», rief er in den Tumult. «Ich möchte Sie bitten, nicht einfach ziellos durch unser Museum zu gehen, sondern so, dass sie all unsere Schätze auch genießen können.» Man spürte deutlich, dass er überfordert war. «So bitte ich Sie, zuerst den Trakt Kubas revolutionäre Seele. Aktuelle kubanische Kunst zu betreten, der zu meiner Rechten liegt, und sich dann weiter von meinen Kollegen und Kolleginnen leiten zu lassen. Sie stehen Ihnen mit Rat und Wissen zur Seite. Ich wünsche Ihnen eine wunderbare Nacht der Museen.» Dann hob er nochmals ganz schnell die Hände. «Oh, eines noch: Ein Teil der Wanderausstellung: Die Krieger im Reich der Mitte ist leider bereits abgebaut. Das betrifft vor allem die Waffen und Rüstungen! Diese befinden sich jetzt auf dem Weg nach New York ins Metropolitan Museum. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür.»
Nilah zuckte zusammen, glaubte, nicht richtig zu hören. Das bedeutete, dass sie hier keine Waffen finden würden. Kein Schwert, das hunderte von Jahren alt war, das ... sie konnte es gar nicht zu Ende denken.
«Was ist los?», fragte Liran und sah einem Mann im Anzug nach, der sich gerade bei einer älteren Dame entschuldigte, weil er sie angerempelt hatte. Nilah erkannte den Mann von draußen wieder und diesmal war sein Lächeln kalt.
«Wir haben ein Problem. Noch vor einigen Wochen standen hier die Rüstungen und Schwerter von Kriegern aus irgendeiner Dynastie, jetzt aber nicht mehr. Das heißt, es sind auch keine Schwerter oder sonst was davon mehr da, was wiederum heißt, wir stehen hier völlig umsonst! Keine Waffen für Dich, Liran. Nichts. Nur alte Klamotten und ein paar bemalte Masken, mehr nicht. Es tut mir leid!»
Der Raum lichtete sich langsam. Das Stimmengewirr verlagerte sich. Die Menschen gingen nach rechts in den Trakt, der ihnen zugewiesen worden war. Jemand machte ein Foto von der Eingangshalle, die jetzt still und ein wenig wie ein großes Grab wirkte.
«Das kann nicht sein», sagte er. «Ich spüre Gewalt in diesen Mauern. Es müssen Waffen hier sein, vielleicht nicht sehr alt, aber immerhin Waffen. Ich kann sie fühlen.»
Nilah sah dem Krieger in die Augen. Für einen Atemzug wünschte sie sich, sie könnte die Welt verschieben. Alles, was um sie herum war, wegdrücken, ausschließen, nur damit sie einmal in Ruhe die Zeit fand, sich mit ihm auseinander zu setzen.
«Hier sind ein paar Pfeile, ein Tomahawk aus dem Nordwesten Amerikas, eine Lanze aus Afrika, ein Bronzedolch aus Ägypten, der aussieht, als würde er jeden Moment zerbröseln, aber nichts, was Dir wirklich helfen könnte. Außerdem können wir ja nicht vor jede Vitrine, in der ein Messer liegt, treten, das Glas zerschlagen und uns nehmen, was wir wollen. In fünf Minuten wäre die Polizei hier. Das würde alles nur noch schlimmer machen, glaub mir!»
Sie sah, wie der Krieger die Augen schloss, tief einatmete und dann den Atem mit einem leisen Stöhnen wieder entließ. Für einen Bruchteil huschte etwas Wölfisches durch sein Gesicht und Nilah wurde abermals klar, wen sie da eigentlich vor sich
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