Die Bestimmung
Boden drückte. Zum zweiten Mal in seinem Leben rannte Liran weg!
Nilahs Atem ging stoßweise. Die Taucheruhr, die an ihrem Handgelenk auf und ab wippte, scheuerte schmerzhaft. So oft war sie hier in diesem Museum gewesen. So oft. Sie sah die Räume nicht wie ein Besucher, sondern wie ein Insasse, der seinen guten alten Tunnel gegraben hatte und ihn jetzt auch benutzen musste.
Hier hatte sie seltsamerweise immer wieder Halt gefunden. Hier hatte sie träumen können. Zwischen all den Dingen, die so viel älter waren als sie selbst – und vergangen.
Hier hatte der Kampf begonnen! Hier hatte sie einen Schwur gesprochen und mit einem starken Willen fortgesetzt. Dass kein Tier jemals leiden sollte, nur weil sie Hunger verspürte oder nett angezogen sein wollte. Hier hatte sie aus Wut einem bekannten Schauspieler die Pelzjacke von hinten mit einem Spritzer schwarzer Tinte verschönert.
Auch wenn die Ausstellungen wechselten, sie kannte ihren Weg. Sie hörte Schreie hinter sich. Ihr Gesicht flog an anderen vorbei, an übergroßen Schwarzweißgemälden. Sie spürte nicht einmal, dass sie rannte, aber sie lief mit einem Ziel. Durch die erste Doppeltür hindurch stoppte sie vor einer schmalen dunklen Wendeltreppe und schaute zurück. Ein verrückter, fast irrer Gedanke hastete durch ihren Kopf. Was, wenn Liran tot auf dem Marmorboden lag? Was dann? Was? Dann sah sie es! Wie es auf sie zustürzte, mit solchem Hass in den Augen, dass er sie fast lähmte. Der Schmerzbringer warf etwas, das klirrend in die Stufen neben ihr schlug. Dann erst packte sie das Geländer mit der linken Hand und zog sich die enge Wendeltreppe hinauf.
Etwas zu verlieren war eine Sache. Etwas für immer zu verlieren eine andere. Liran rannte ihr nach, auch wenn er nicht wusste wohin. Menschen hasteten ihm entgegen, mit schreckensweiten Gesichtern und panischen Blicken. Der Schmerzbringer war einfach durch ein Gemälde hindurchgerannt und hatte es zum Einsturz gebracht. Dann sah Liran ihn und schleuderte das schartige Schwert quer durch den Raum. Es traf den Schmerzbringer mitten im Rücken. Der ließ ihn mit dem Schwung seiner eigenen Beine und mit dem Ruck des Schwertes ungelenk gegen eine Treppe prallen, wo er auseinanderfiel und seinen unseligen Körper über die unteren Stufen ergoss. Doch noch bevor der Krieger die Treppe erreichte, schoss ein weiterer Schmerzbringer aus einem Seitengang, starrte ihn für einen Moment grinsend an und huschte dann die Stufen empor. Ein zweiter folgte ihm. Schnell.
Ihre Schritte hallten auf den Holzstufen. Nach der dritten Drehung war sie in Altägypten, in das der ummauerte Treppenaufgang wie ein gewundener Flaschenhals ragte. Alles war hell, in Sandsteinfarben gehalten. Nilah kannte sich hier besser aus als in ihrem eigenen Zimmer. Sie wusste, dass hinter all den Steinen, auf denen verwitterte Hieroglyphen prangten und die wie stumme Zeitzeugen festgenagelt an der Wand hingen, ein Stufengang wieder hinunterführte. Er war versteckt hinter einer Wand, die wie eine kleine schmale Zelle aussah und den Anschein hatte, man könne dort ein paar ganz wichtige Dinge erkunden. Doch sie sollte nur den Aufbau einer Pyramide verdeutlichen, dass man durch verborgene Gänge ging und sich ein wenig wie in einem Grab fühlen sollte.
Nilah lief die enge Rampe hinunter, wo hinter Glas der geöffnete Sarkophag einer Frau stand. Nun wurde es dunkel, die Wände fast schwarz gestrichen, die Beleuchtung mystisch, wie in einer engen Grabkammer. Sie schlängelte sich durch die Vitrinen mit den alten Holzsarkophagen darin. Steinfiguren, Elfenbeinringe und andere Beigaben lagen herum. Sie hörte einen trockenen Schlag, als neben ihr etwas in die Glasvitrine einschlug und Splitter über den Boden streute. Eine Mumie kippte nach vorn heraus und kullerte in den Gang. Nilah schrie und lief bis zu einer Geheimtür, die die meisten Besucher erst dann entdeckten, wenn sie sich öffnete. In diesem Moment schwang die Tür auf. Sie sah in ein Gesicht, das nur noch aus ungezügelter Wut zu bestehen schien.
Dieser Zorn war wie eine Gewalt. Etwas, das über ihn kam, ohne zu fragen, ohne zu fordern, nur um zu regieren. Liran lief die Wendeltreppe empor und fletschte die Zähne. Seine Bewegungen waren schnell, effektiv und für den zweiten Schmerzbringer , der die Treppe erklimmen wollte, tödlich. Liran riss ihm die Beine weg und klemmte seinen Kopf zwischen zwei Stufen. Mit einem gewaltigen Schritt trat er die nächst höhere Stufe
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