Die Bestimmung
hatte. Es war unheimlich und zugleich - sie mochte es kaum zugeben – erregend. Lirans Augen öffneten sich wieder und blickten düster auf die Marmortreppen. Aber dort oben war nichts weiter. Nur eine Sammlung antiker Boote, die an den Wänden hingen. Kanus aus grauer Vorzeit und ein paar Glaskästen mit Schnickschnack.
«Kennst Du Dich hier aus?», fragte Liran. Mittlerweile standen sie ganz allein in der Halle.
Nilah fühlte, wie sich ihr Herz auf eine Flucht einstellte. Sie blickte sich um, aber sie sah nichts, was sie bedrohte.
«Ich kenne mich hier besser aus als so mancher Angestellter, wieso?»
Liran starrte noch immer die Treppe an. Einige Meter darüber waren die vier bogenförmigen Fenster, so groß, dass jeweils eine U-Bahn hätte hindurchfahren können. Voller Quer-und Längsstreben ließen sie das einzig wirkliche Licht in den großen Raum fallen. Jetzt, in der Nacht, sahen sie matt, irgendwie müde und verbraucht aus. Der Krieger schloss erneut die Augen und legte den Kopf auf die linke Schulter, als wollte er etwas hören, das niemand sonst hören konnte.
Als er den Kopf wieder hob, legte er ihn auch noch nach rechts. Seine Halswirbel knackten und hinterließen ein Geräusch, das Nilah schlucken ließ. So hörte es sich an, wenn jemand bereit war zu töten. Doch Nilah blieb stehen. Aus einem der Gänge kamen Besucher, tappten erschöpft die Treppe herunter, ein Kind schrie, jemand hustete. Sie hob den Blick und sah, wie sich Schatten über die Fenster legten, dunkle, sich abzeichnende Gliedmaßen daran heraufkletterten, wie vierbeinige Spinnen, durch die trüben Scheiben starrten und dann plötzlich alles in einem Gewirr aus fallenden Scherben und hysterischen Schreien zerbarst.
«Lauf!»
Treibjagd
Mit einer heftigen Bewegung stieß Liran Nilah von sich. Das Gefühl war ekelhaft real. Doch er konnte nicht anders. Dafür war er da. Er hatte die Schmerzbringer gerochen, er hatte sie gehört, wie sie über das Dach des Museums geschlichen waren, denn ihren Atem konnten sie nicht vor ihm verbergen, zu intensiv hatte er ihn einst gerochen, den Gestank aus vermodertem Holz und rußigem Stein. Er fühlte, wie der Zorn bis in seine Hände strömte. Wie er Platz machte, um sich nach vorn zu drängen und in ihn zu schieben, bis alle Poren voll von ihm waren. Der erste von ihnen schrie in die Halle wie ein Raubvogel und ließ sich fallen. Liran begann zu laufen, zog sein Steinmesser und blieb stumm.
Der Schmerzbringer landete und rutschte ungelenk und überrascht nach vorn. Seine Hufe fanden keinen Halt. Sie waren gut für Gelände, schroffen Felsen, aber glatten Marmor hatten sie nie berührt und so schlidderte er mit den Armen rudernd auf den Krieger zu. Der Krieger rammte seinen ausgestreckten Arm in den Feind. Ein Krachen war zu hören, der Schmerzbringer wirbelte in einem wilden Salto durch die Luft und schlug wie ein Sack Knochen auf den Boden.
Liran rammte seinen Stiefel auf den Arm des Schmerzbringers , entriss ihm das Schwert und zeigte damit ungerührt auf den zweiten, der vorsichtshalber heruntergeklettert war, anstatt zu springen.
Schrille Angst gellte zwischen den Wänden. Jemand lief wie von Sinnen auf den Ausgang zu. Die meisten Besucher drängten zurück in den Trakt, aus dem sie gerade gekommen waren. Kurz darauf brach blanke Panik aus!
Der dritte Schmerzbringer sprang vom zerborsteten Fenstersims direkt auf eine riesige, runde Holztafel, brachte sie wie eine übergroße Münze zum Kippen, glitt an ihr herunter und klackerte lauthals die wenigen Schritte rutschend auf den Eingang zu, durch den Nilah verschwunden war.
Die Schwertspitze zeigte noch immer auf den Schmerzbringer , der seltsam unschlüssig auf den Stufen der Treppe stehen geblieben war und Liran abwartend anstarrte, wobei er seinen Körper hin und her wiegte, als taxiere er dessen Reflexe aus.
«Willkommen auf Deinem Totenfeld», sagte der Krieger.
Das Wesen reagierte überhaupt nicht auf diese Worte. Ein Grinsen machte sich auf seinem entstellten Gesicht breit und es fing an, nun auch sein Schwert zu schwenken, als habe es alle Zeit der Welt.
«Du verdammter Fian», klackerte die Stimme, «glaubst Du, wir sind nur zu dritt hierher gekommen? Wir haben jemanden für Dich mitgebracht.» Mit einer einzigen Bewegung verschwand der Schmerzbringer die Stufen hinauf. Der Krieger sah seinen ungelenken Schritten nach, als er einen Schatten wahrnahm. Einen großen Schatten und einen Geruch, der seine Sinne förmlich zu
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