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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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werden. Dann rang sie es nieder und öffnete. Sie drehte Morrin gleich wieder den Rücken zu, hockte sich mit angezogenen Beinen auf die Truhe und sah aus dem Fenster. Morrin sagte nichts, sah sich um und setzte sich auf die Bettkante. Anscheinend wollte sie nur kurz bleiben.
    Nilah kam es vor, als säße sie vor ihrem Schulrektor und müsse sich für irgendetwas rechtfertigen. Aber sie wollte sich nicht mitteilen, schon gar nicht jemandem, den sie kaum kannte. Sie wollte richtig wütend sein, aber sie fühlte auch, dass sie es nicht konnte. Über ihre Knie hinweg sah sie Morrin verstohlen an. Sie wollte gerade etwas sagen, da kam ihr diese zuvor.
    «Kann ich Dich mal 'was fragen?»
    Nilah tat so, als hätte sie das nicht gehört, schnaufte nur laut und genervt. Sie fühlte sich, wie in zwei Hälften gespalten. Und jede Seite tat einfach, was sie wollte. Das Blöde daran war, dass sich beide Seiten falsch anfühlten. Sie antwortete mit einem Schulterzucken.
    «Während Ihr noch zu Hause ward, ich meine in Hamburg, hast Du da vielleicht jemanden ... gesehen?»
    «Wen gesehen?» fragte Nilah abweisend, aber in ihrem Bauch wurde es plötzlich warm.
    Morrin schien mit sich zu ringen, ob sie weiter fragen sollte. Das machte Nilah ganz nervös. Aber sie verdrängte auch das.
    «Eine alte Frau vielleicht?»
    Nilahs Herz fing an zu klopfen. Sie hob den Kopf über ihre Knie.
    «Hat sie ... vielleicht ... etwas gerufen?» setzte Morrin nach.
    Nilah stand auf. Bilder kamen zurück, vergessene Bilder.
    «Ich glaube, am Fleet habe ich jemanden gesehen. Leerer Blick, Gras ... Ich dachte, es war ein … Woher weißt Du das?» fragte sie ganz durcheinander.
    Morrin wiegte den Kopf und sah ihr fest in die Augen.
    «Dann war es die Ban Caointe , die Klagende», sagte sie leise und so bestimmt, dass Nilah Angst bekam.
    «Sie hat ihr Haar gekämmt», entfuhr es Nilah. «Ich hatte Angst vor ihr. Ich dachte, jetzt verlierst Du auch deinen Verstand, so wie ...», sie brach den Satz ab.
    Morrin seufzte tief, dann sah sie zu ihr auf. Wieder strich sie eine Strähne aus ihrem Gesicht. Nilah musste kurz wegsehen. Morrin senkte den Kopf, dabei sprach sie leise: «Die Ban Caointe erscheint jenen, die ein wichtiges und ehrenvolles Familienmitglied verlieren. Man sagt, dass sie dreimal den Namen derer ausspricht, die trauern werden. Später einmal nannte man sie auch die Wäscherin-an-der-Furt, eine schreckliche Hexe, die die Köpfe der gefallenen Krieger wusch.»
    Nilah dachte, dass nicht nur dieses Land unheimlich war, sondern auch jene, die dort zu lange wohnten. Aber dann sprang ihr das Bild der alten Frau so real vor die Augen, wie sie dort gestanden hatte, zu ihr rübergesehen und sich durch ihr Haar … Sie schauderte. Das Bild verblasste wie Nebel.
    «Und was hat auf dem ersten Blatt gestanden?» fragte Morrin.
    Sie wusste es also!
    «Jemand glaubt, mich gefunden zu haben», erklärte Nilah und setzte sich neben Morrin aufs Bett. «Aber er scheint sich dessen irgendwie nicht sicher zu sein.»
    Morrin schien das nicht so sehr zu verunsichern.
    «Edda hat Dich immer für einen ganz besonderen Menschen gehalten, Nilah. Und diese Insel ist ein magischer, sehr kraftvoller Ort. Vielleicht ... ich weiß nicht.»
    «Was?»
    «Was hast Du gefühlt, als Du hierher gekommen bist, ich meine, als Du durch dieses Land gefahren bist?»
    Nilah versuchte es irgendwie in Worte zu fassen, aber es war so, dass diese in ihr feststeckten. Sie sah aus dem Fenster und seufzte.
    «Ich denke, es war ... war eine fast körperliche Freude, all diese Hügel, Berge und die Luft zu spüren», erklärte sie und hoffte, dass Morrin sie verstehen konnte.
    Nachdenklich schaute diese sie an.
    «Hm, vielleicht war es nicht die Freude, dieses Land zu sehen, vielleicht war es die Freude darüber, ... es wiederzusehen .»
    Nilah blickte sie entgeistert an. Morrin hatte da einen wunden Punkt berührt, den sie selbst schon in Betracht gezogen hatte, wenn auch nur sehr kurz, denn ein zivilisierter Verstand mochte es gar nicht, wenn man ihm mit solch wirren Kauderwelsch daherkam. Er schaltete dann unverzüglich die Vernunft ein und die machte es einem verdammt schwer, auch nur ernsthaft an solche Dinge zu denken. Morrin stand auf, ging zur Tür und öffnete sie.
    «Was bedeutet das alles?», fragte Nilah fast bittend.
    Morrin drehte sich um, die Klinke in der Hand. Sie wirkte müde.
    «Ich weiß es nicht», sagte sie. Es schien die Wahrheit zu sein. Und dann, ohne sich noch mal

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