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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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umzudrehen: «Ich mag Deinen Vater, weißt Du. Ich mag ihn wirklich!»
    Nilah sah nur noch, wie sich die Tür wieder schloss.
     
     

Der Gelehrte und der Brief
    Der Nachmittag begann sonnig. Er hatte einen klaren blauen Himmel auf den Schultern und ein mildes Strahlen dabei. Einzig den Wind hatte er nicht abschütteln können.
    Nilah fuhr mit einem alten Fahrrad, das sie im Schuppen gefunden hatte. Es quietschte klagend. Böen zerrten flatternd an Jacke und Hose, und wenn sie den Kopf nicht richtig hielt, trieb ihr der Seewind Tränen in die Augen. Trotz der Sonnenbrille. Sie war auf dem Weg zu Atticus Finch, einem Professor, der einst in Dublin am Trinity College gelehrt hatte und der Nilah mit dem ominösen Brief von Edda wohl am ehesten weiterhelfen konnte. Jedenfalls war Morrin dieser Meinung gewesen, die ihr auch den Weg erklärt hatte. Als sie an der Küstenstraße entlangfuhr und schon auf das Meer linste, hielt sie kurz an. Mit den letzten fast andächtigen Schritten auf dem weiten Strand, tat sich der Atlantik vor ihren Augen auf Es brauste und wühlte, der Geruch von Tang und Meer wie ein Schrei in der Nase, fühlte sich für Nilah an wie ... sie konnte es nicht beschreiben, so wunderbar war es. So schaute sie sich kurz um, ob niemand sie sah und brüllte aus vollem Halse - ihren Namen.
    Als sie weiterfuhr, dicht vorbei an dunklen Klippen, die aussahen, wie durch mächtige Hiebe zerfranst, als die Luft ihr lebendiges Salz durch ihre Adern trieb, da hatte Nilah erneut das Gefühl erschütternder Wiedererkennung. Wie ein wunderschönes Gemälde, das zurück in ihre Seele floss.
    Die Straße vor ihr fiel jäh ab. Sie betrachtete sorgenvoll die Bremsen an dem verrosteten Rad. Links und rechts waren Bäume, und die Straße schlängelte sich wie eine graue Zunge in das kleine Tal. Es gab kein Schild, das dieses Gefälle auch nur annähernd beschrieb, also war Wagemut angesagt. Sie hob ihre Füße auf die Pedale, rauschte erst gemächlich, dann immer schneller abwärts. Sie stoppte mitten im Straßengraben. Die Bremsen hatten nur kurz geknackt, als sie gerissen waren, den Rest hatte sie mit den Schuhen erledigt. Sie war heilfroh, dass dort keine Mauer im Weg gestanden hatte. Nilah nahm ihr Rad wieder in die Hand und dachte, dass bei so wenigen Häusern der Name Finch wohl relativ einfach zu finden sein müsste. Es ging wieder bergan. Vorsichtshalber schob sie das Rad nun. Der Wind rauschte in den Bäumen und Büschen. Weiße Wolken zogen schnell dahin. Es war ein verwunschenes Land.
    Das Haus war eigentlich kein richtiges Haus. Es war mehr ein quadratischer, aus großen grauen Steinen gemauerter Turm. Als hätte man mittendrin aufgehört eine Festung zu bauen, erschien es eher wie eine trotzige Behauptung gegen Eindringlinge aus lang vergangenen Zeiten, denn wie eine gemütliche Zuflucht für Professoren. Rings herum waren nur Felder und Wald. Man hörte das Meer, sah es aber nicht. Ein großer Garten war wie üblich mit aufgeschichteten Steinen umrandet, von der Vorderseite aus konnte man jedoch nur einen Teil davon sehen. Die Auffahrt war löchrig und führte zu einer Garage, die aussah, als würde sie sich beim nächsten Sturm in ihre Bestandteile auflösen; darin ein Auto, dessen Stoßstange mit Klebeband festgehalten wurde und allerlei Teile, die auf dem Boden herumlagen. Alles wirkte zwar aufgeräumt, aber auf eine wilde Art. Eine steile Treppe ohne Geländer führte an der Turmwand hoch in den ersten Stock und Nilah überlegte, wozu wohl der untere da war. Ein übererdiger Keller? Nun, wenn die Mauern so dick waren, wie sie von außen wirkten, war es sicher kühl genug. Jedenfalls fingen die runden Fenster, die Sturmklappen hatten, erst ab dem zweiten Stock an. Es war ungewohnt ohne Geländer auf einer Treppe zu gehen, und Nilah überkam ihre alte Höhenangst. Normalerweise konnte sie kaum auf einen Stuhl steigen, ohne Herzflattern zu bekommen, und in der Schule hatte sie sich alle Mühe gegeben, im Sportunterricht dieses verdammte Seil emporzuklettern. Aber das hatten ihre Armmuskeln schon weitaus früher verhindert, bevor ihre Angst überhaupt beginnen konnte. Von dieser Schwäche hatte sie niemandem je erzählt.
    Die massive Holztür mit Eisenbeschlägen wirkte nicht sonderlich einladend, aber Nilah klopfte trotzdem an. Der Brief und das Geheimnis, Eddas Worte, wogen mehr. Niemand antwortete, es waren auch keine schlurfenden Schritte zu vernehmen, auch nicht, als sie ihr Ohr an die Tür presste.

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