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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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sie platziert worden. Unter ihnen waren ebenfalls Bilder, die aber alle Farbe und Pracht verloren hatten. Auf dem einem glaubte Nilah vergilbte grüne Schlangen zu erkennen.
    Morrin bugsierte sie in die letzte Reihe, und sie nahmen Platz. Vorn stand der halboffene Sarg von Edda. Etwas kurz wirkte er auf Nilah. War Edda so klein gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Blumen lagen vor und auf dem Sarg, einige Jacobslichter brannten. Etwas glomm vor sich hin und erfüllte die Kapelle mit einem schweren Duft.
    Dann kam Pater Skelling aus einer unscheinbaren Seitentür, räusperte sich in seinen Ärmel, sah die Erschienenen kurz aus dem Augenwinkel an, wobei Nilah das Gefühl hatte, ein stechender Blick hatte allein Morrin gegolten, bevor er die paar Stufen, die man in den Stein gemeißelt hatte, auf die Kanzel schritt. Vermutlich hatte man einst die Kirche um diesen Fels errichtet. Oben räusperte er sich erneut, schlug die Bibel auf und sah mitfühlend auf die Trauernden herunter.
    Nilah blickte zu Boden.
    «Wir sind heute hier versammelt, um jemand ganz Besonderen zu verabschieden und ihn in Gottes Obhut zu geben.» Der irische Akzent war dramatisch. Pause.
    «Elizabeth Diana Dana Agnes O´Connelly ist zum allmächtigen Herrn befohlen worden.»
    Nilah sackte das Herz tiefer. Edda war also nicht ihr richtiger Name gewesen. Das hatte sie nicht gewusst.
    Dann ertönte eine langatmige Rede, angefüllt mit Bibelpassagen, wobei die Mundwinkel des Paters zuckten, als würde er den Schmutz der Welt in sich aufnehmen. Und als reinige er alles in seinem Mund mit den Worten der heiligen Schrift, spuckte er sie dann den Anwesenden geläutert wieder vor die Füße. Irgendwann war er fertig und stieg, so würdevoll es ging, wieder von der Kanzel herunter.
    «Möchte noch jemand ein paar Worte sagen?» fragte er. Es schien mehr eine Drohung zu sein als eine Aufforderung.
    Alle blieben sitzen, doch dann stand Morrin auf, zwängte sich zwischen den Beinen der beiden hindurch und ging gelassenen Schrittes nach vorn. Sie drehte sich um und sah die Leute an, die auf den Bänken saßen und unruhig hin-und herrutschten.
    «Wenn ich an Edda denke, so denke ich an dieses Land,» fing sie an. Ihre Stimme schwankte, sie stockte kurz. «Vielleicht mag jemand ihr Licht von diesen Hügeln genommen haben, ihre Stimme aus dem Wind. Aber sie ist dennoch hier! Dieses Land lässt niemanden so einfach gehen!»
    Der Pater verzog das Gesicht. Gemurmel entstand.
    «Dieses Land ist», sie senkte den Kopf, atmete einmal tief durch «Ihr wisst, was ich meine. Edda wird weiter da draußen sein, im Gras, in den Steinen und Bächen und in den Herzen, derer, die ... die auch des alten Glaubens sind.» Sie ging schnell zu ihrem Platz zurück. Pater Skelling lächelte schal.
    Einer Eingebung folgend stand nun Nilah auf. Alles drehte sich zu ihr um. Sie errötete und ging langsam zu dem Sarg. Mit klopfendem Herzen blickte sie hinein. Oma Edda musste einst eine Schönheit gewesen sein, denn man sah es immer noch in ihren Zügen, so faltig sie auch waren. Nilah hatte Angst, jeden Moment könne sie die Augen öffnen und «Hallo» sagen. Ein Lächeln spielte um ihre geschlossenen Lippen, so als hätte sie dem Tod einen derben Streich gespielt, bevor sie eingeschlafen war. Nilah drehte sich um. Und als könne sie gar nichts dafür, sagte sie einfach die drei Zeilen aus dem Brief in gälischer Sprache auf:
    «Mein Herz ist Wahrheit.
    Mein Auge ist Licht.
    Unter meinem Blick entsteht die Welt.»
    In der Kapelle war es totenstill. Skelling schien plötzlich so weiß wie die Kirchenwand zu sein und starrte ihr nach, als sie zurückging.
    «Was war das denn gerade?» fragte ihr Vater flüsternd und Nilah zuckte, selbst etwas erschrocken, mit den Schultern. Er bohrte nicht weiter. Wieso habe ich das gerade in der Ich-Form gesagt, wühlte es in ihrem Kopf. Und warum in einer Sprache, die ich nicht kenne?
     
    Der Friedhof selbst war sehr klein. Von ein paar Bäumen gesäumt und von einem Steinwall umgeben, waren nur wenige Gräber darauf, diese aber dicht gedrängt und ohne erkennbare Ordnung. Einige der berühmten keltischen Kreiskreuze standen dort, oftmals aber nur ein einfacher Stein, von einem Feld aufgelesen und mit einer Inschrift versehen. Als der Sarg niedergelassen wurde, sah Nilah, dass eine Krähe sich auf einem der Steinkreuze niederließ, kurz die Federn ausschlug und dann die Balance für einen langen schweifenden Blick fand. Eine zweite und dritte ließen sich auf

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