Die Bestimmung
Bran tappte nervös rückwärts, schnaubte heftig und während Nilah den Rauch hustend wegwedelte, sah sie, wie sich etwas Glühendes durch das Holz brannte. Der Geruch erinnerte sie daran, wie sie einmal mit einer dicken Lupe ihre Initialen in ein Brett im Garten geschmort hatte. Dann war es vorbei. Der Qualm hing wabernd im Zimmer. Nilah starrte auf den Boden. Dort lag nun ein metallischer Gegenstand, aus dem sich langsam das rote Glühen zurückzog, bis es schließlich ganz verging und etwas Glänzendes zurückblieb: Es sah aus wie ein Schlüssel, eingebettet im Holz.
Was geht hier vor? , dachte Nilah verzweifelt. Wer hatte hier etwas in einem Dielenbrett versteckt, das sich genau in dem Moment herausbrennt, während sie direkt davor saß? Nicht einen plausiblen Grund fand sich in ihren Gedanken. Keinen außer: Magie? War meine Großmutter eine Hexe oder dergleichen gewesen? Wollte Edda das, was sie mit ihrem rätselhaften Brief angedeutet hatte, hiermit weiterführen? Sollte sie einer Spur folgen und wenn ja, welcher? Doch bisher ergab das alles überhaupt keinen Sinn. Behutsam nahm Nilah die Spitze ihres Messers und hebelte das Ding aus dem verschmorten Holz. Vorsichtig tippte sie dagegen. Es war abgekühlt. Sie ließ es von der Klinge in ihre Hand gleiten und pustete mehrmals darüber, wie ein Handwerker, der gerade ein Stück fertig gestellt hat. Bran tappte neben sie und schnüffelte verhalten. Jetzt, wo sie so auf dem Boden hockte, fiel ihr auf, dass er sie fast um einen halben Kopf überragte. Freundlich blickte sie ihn an.
«Hatte Deine Nase also doch recht», grinste sie. Der Hund fing an zu wedeln und stupste ihre Schulter so, dass sie fast zur Seite kippte. Sie sah wieder in ihre Hand. Komisch wirkte dieser Schlüssel, wenn es denn einer war. Rund, etwa vom Durchmesser einer Münze. Aus seiner silbernen Oberfläche war die Form einer Hand gestanzt oder geätzt worden, die aus einer einzigen Spirallinie bestand. Über und unter der Hand befanden sich winzig kleine Löcher, so fein und dicht beieinander, dass sie wie stilisierte Wellen aussahen. Das Einzige, was wirklich an einen Schlüssel denken ließ, war ein oben angebrachter Griff. Nilah runzelte die Stirn. Plötzlich fiel ihr etwas ein: Ein Bad, zwei weitere Zimmer oben, oh, eines ist zugemauert worden, ich weiß auch nicht warum ... das hatte Pater Skelling doch so ungefähr gesagt, oder? Dieser seltsame Schlüssel war vielleicht für die zweite Tür. Die angeblich zugemauerte. Aber was, wenn der Pater gelogen hatte, aus welchem Grund auch immer? Sie hatte ihn vom ersten Moment an nicht gemocht und nach seiner leidenschaftslosen Predigt, die er wie das Rezept für einen gottesfürchtigen, aber faden Eintopf heruntergeleiert hatte, war dieser Eindruck nur noch stärker geworden. Nun denn , dachte Nilah, stand auf und straffte die Schultern. Vielleicht hatte der so überraschend einfache Umgang mit Bran sie plötzlich mutiger gemacht oder es war noch immer der Whisky , überlegte sie, während sie sich noch einen Fleecepulli überzog, sich ihr Basecap aus der Reisetasche schnappte und in die Stirn zog. Eigentlich hatte sie die Faxen langsam dicke, sich von all dem was hier mit ihr passierte, in die Ecke drängen zu lassen. Passivität hatte ihr noch nie gut zu Gesicht gestanden. Vielleicht war es endlich an der Zeit, selbst einmal etwas in die Hand zu nehmen. Zum Beispiel einen Schlüssel!
Das erste, was ihr auffiel, als sie die Kerzen an das Schloss der anderen Tür hielt, war, dass jemand sich daran zu schaffen gemacht hatte. Deutlich erkannte man frische Kratzer, ganz so, als hätte man mit einem Schraubenzieher oder einem ähnlichen Werkzeug versucht, die Verriegelung zu knacken. Als das nicht geklappt hatte, hatte derjenige probiert, die Tür an der Seite aufzuhebeln. Hier waren einige Kerben zu sehen. Das alles sah ziemlich stümperhaft aus. Nilahs Vermutung, dass der Pater hier vielleicht am Werk gewesen war, kam ihr immer wahrscheinlicher vor. Hatte in dem Wagen, mit dem er sie abgeholt hatte, nicht jede Menge Werkzeug herumgelegen?
Bran stand neben ihr. Jetzt war sie froh, dass sie ihn als Begleiter hatte. Der irische Wolfshund verströmte ein Gefühl von Sicherheit und wenn sie es bedachte, hatte allein schon die Bezeichnung seiner Rasse etwas Abschreckendes. Sie streichelte ihn kurz und holte den Schlüssel hervor. Von unten hörte sie ihren Vater. Er schnarchte nicht im klassischen Sinne, nein, er hörte sich an wie einer dieser alten
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