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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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öffnete sich der entstellte Mund. Die gefürchteten Wortwürmer krochen langsam aus dessen Zunge heraus. Silbe für Silbe, mit ihren schimmernden schwarzen Leibern, nass und dampfend, spreizten sie ihre kurzen Flügel, kamen summend auf ihn zu und hockten sich auf sein Gesicht. Es brannte wie Feuer, als sie flüsternd auf ihm herumkrabbelten, dicht an dicht, um dann in sein Ohr zu kriechen. Der Schmerz war unbeschreiblich. Die Würmer schrien ihre Fracht heraus. Es war, als zerfetzten sie sein Trommelfell mit stumpfen Nadeln.
    «Man hat Dich gesucht. Wo bist Du gewesen, Rätselfinder?»
    Tok konnte die Antwort nur denken. «Hier, Herr. Nie würde ich es wagen ...»
    «Ich werde es sehen.»
    Etwas sog seine Erinnerungen aus ihm heraus, als würde ein Geist sie aus seinem Innern schlürfen. Bilder zuckten vor seinen Augen: Er wankte benommen, er sah sich selbst neben seinem eigenen Kopf stehen, der dann wie eine Blase zerplatzte und wässrig über den Boden rann. Tok fühlte die unendliche Erleichterung darüber ein zweites Mal. Es war nur eine Illusion gewesen, eine letzte Warnung, sollte es auch nur noch einen Rückschlag geben. Alles, was folgte, waren Tränen und Trauer, niedergekauert in einer Ecke. Es schien, dass diese Bilder wie angewidert in seinen Kopf zurückgespuckt wurden.
    Er hatte es nicht gesehen. Er hatte es nicht sehen können.
    Genauso wenig wie Tok selbst.
    «Finde die verlorenen Zweige!», brüllte es in seinem Ohr, und Tok wusste, dass er ab jetzt mit dem Tod würde tanzen müssen. Viele der Äste des Stammbaumes waren unsichtbar gewesen. Zweige aus Wasser. Die Druidin hatte die Blutlinie hervorragend geschützt. Aber er wusste auch, dass er diese Linie längst gefunden hatte, er durfte dieses Wissen nur nicht in die Hände des Einzigen gelangen lassen. Noch nicht!
     
     

Das Steinerne Boot
    Zitternd stemmte Nilah sich auf die Beine und stieg die letzten Stufen hinab. Sie hob die Blendlaterne auf, wobei sie erschrocken bemerkte, dass diese leckgeschlagen war. Ein öliger Fleck zeichnete sich auf dem lehmigen Boden ab. Sie hoffte nur, dass es reichen würde hier wieder herauszukommen, bevor die Flamme ganz erlosch. Sie wollte in diesem dunklen Wahnsinn nicht ohne Licht zurückbleiben.
    Der erste Schrecken hatte sich etwas zurückgezogen und nun hielt sie die Laterne so, dass sie das, was sie nur kurz erblickt hatte, genauer betrachten konnte. Vor ihr war ein quadratischer Tunneleingang, etwa zwei Meter hoch und breit. Aber das, was an seinen Seitenwänden stand, konnte sie immer noch nicht fassen. Links und rechts waren hohe vierkantige Obelisken aufgestellt worden. Wie grober Sandstein sahen sie aus, gelblich und spröde. In jede Säule hatte man mit einigem Zwischenraum von oben nach unten fünf kreisrunde Nischen getrieben. Aus jeder dieser Nischen starrte sie ein bleicher Totenschädel an. Immer in Zickzack-Abständen bildeten die Säulen eine stumme unheimliche Galerie. Es lief ihr kalt den Rücken herunter. Im Schein der Lampe sahen die Schädel lebendig aus. Schwarz zeichneten sich die Augen-und Nasenhöhlen ab. Man spürte längst vergangene Energie. Hätte sie nicht das unbewusste Gefühl gehabt, dass es ihr vorbestimmt war, hier zu stehen, sie hätte sich sicher anders gefühlt. Aber solch eine seltsame Ehrfurcht hatte sie noch nie verspürt.
    Sie hatte oft genug nachts, wenn sie wieder nicht einschlafen konnte, den Discovery Channel geguckt, um zu wissen, dass die Kelten einen wahren Kopfkult betrieben hatten – dachten sie doch, alle Lebensessenz sei darin verborgen. Und diese hier sahen aus wie schweigende Wächter. Sie schritt an den Säulen vorbei, empfand aber keinen Ekel, sondern eine ruhige Faszination, ja sogar Neugier. Einige der Schädel waren beschädigt, manche hatten Risse oder gar Löcher, als hätten sie an einer fürchterlichen Schlacht teilgenommen und grausame Verletzungen davongetragen. Aus einem ragte sogar etwas hervor, das wie eine abgebrochene Lanzenspitze aussah. Von der Wange bis durch die Schädeldecke. Nilah hätte gern einen der Köpfe berührt, aber sie traute sich nicht. Sie wollte nicht stören, auch wenn es absurd schien, das zu denken.
    Sie erkannte auch Unterschiede. So manchem Kopf war eine gewisse Wildheit anzusehen, andere dagegen hatten beinahe ein anmutiges Antlitz. Nilah fragte sich, wer die Menschen gewesen waren, wie sie wohl ausgesehen hatten und ob unter ihnen auch Frauen sein mochten. Vorsichtig, auf jeden ihrer Schritte achtend, ging sie

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