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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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Gedanken waren in vollkommener Unordnung. Zu viele Dinge waren passiert, auf die sie sich keinen Reim machen konnte. Seit sie diese Insel betreten hatte, schien sich die wirkliche Welt unmerklich zu verschieben. Es waren nur Kleinigkeiten, nichts, was man als einen deutlichen Fingerzeig interpretieren konnte oder sollte. Sie war ein sehr rationaler Mensch, keine von diesen Geistergläubigen, die schon in heilloses Schluchzen verfielen, wenn Freitag der 13. auf dem Kalender stand. Oder die in einem Schimmelfleck auf altem Toastbrot das Gesicht Jesu erkannten. Und doch. Irgendetwas an diesem Ort berührte sie auf eine Weise, die sie sich nicht erklären konnte. Sie …
    Mit einem Ruck saß sie aufrecht. Jemand kam die Treppe herauf. Nilah packte ihr Schweizer Armeemesser, hielt es fest umklammert und horchte mit angehaltenem Atem. Jetzt stand jemand vor ihrer Tür. Sie bekam Angst, als Sekunden später etwas am Türspalt schnüffelte. Es fiepte leise. Nilah schlug das Herz bis zum Hals. Dann kratzte es an der Tür und ein verhaltenes «Wuff» war zu hören. Bran, fiel ihr ein, und sie entspannte sich etwas. Mutig schlug sie die Bettdecke beiseite und ging zur Tür. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren , dachte sie. Das ist nur ein Hund. Ein sehr großer zwar, aber nur ein Hund. Sie drehte den Knauf, dabei drückte Bran sofort die Schnauze durch den Spalt und drängelte sich herein.
    «Hey», sagte Nilah leise und sah ihn mit großen, ängstlichen Augen an. Doch der irische Wolfshund schien mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als einem Mädchen Angst einzujagen. Er senkte sofort den Kopf und schnüffelte auf dem Holzfußboden herum, ganz so, als suche er etwas.
    «Was ist denn mit Dir?» fragte Nilah und schloss die Tür wieder, während sie den Hund dabei beobachtete, wie er das halbe Zimmer mit seiner Nase durchkämmte. Seine Krallen klackerten auf dem Boden. Aber Bran war nicht ansprechbar. Er schnupperte weiter jede Bodendiele ab. Immer aufgeregter schien er zu werden. Ob es daran lag, dass er nervös war oder sich das Gesuchte einfach nicht finden ließ, konnte Nilah nicht sagen. Sie setzte sich aufs Bett, sah dem Hund dabei zu und wartete einfach ab. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Der Schwanz hörte auf zu wedeln. Wie eine Statue verharrte er vor der dunklen Truhe, die Nilah schon so bewundert hatte. Aber sie war leer, das wusste sie.
    «Ok, Kleiner», flüsterte sie und tätschelte vorsichtig mit ausgestrecktem Arm den Kopf des Hundes. «Was immer Du meinst gefunden zu haben, da ist es nicht, denn das Ding ist leer.» Sie hob den schweren Deckel an, um dem Tier zu zeigen, dass sie die Wahrheit sagte. Bran steckte sogleich den großen grauen Kopf hinein und sah sich um. Jede Ecke beschnüffelte er kurz. Dann kam der graue Kopf wieder hervor und blickte Nilah seltsam fragend an.
    «Was denn? Ich hab doch gesagt: Da ist nichts!»
    Bran starrte sie weiter an. Er sah abwechselnd auf die Truhe dann wieder zu Nilah. Sein Blick wurde immer intensiver und für einen Moment dachte Nilah, er würde gleich anfangen zu sprechen, nur damit sie endlich etwas tat.
    «Ok», sagte sie zu dem Hund. «Du meinst also, da ist 'was. Aber da das Ding leer ist, muss also irgendetwas ... was auch immer ... hm, ... es ist ...» Plötzlich kam ihr ein Gedanke. «Dahinter oder darunter», murmelte sie. Bran fing sofort an mit seinem ganzen Hinterteil zu wackeln. Nilah stemmte sich gegen die Truhe. Holz quietschte auf Holz. Erst ein paar Zentimeter nur, dann aber lehnte sie sich gegen die Wand und schob mit den Füßen voran. Knarrend bewegte sich das schwere Holz endlich von der Stelle und gab seinen alten Platz frei. Nilah war aus der Puste und sah, wie Bran sich einfach hinsetzte und den leeren Platz anstarrte.
    «Na, das war wohl nix», grummelte sie, wobei sie den Hund tadelnd musterte. «Und wie schieb ich die jetzt wieder zurück?» Sie konnte nämlich jetzt keine der Wände mehr als Rückhalt für ihre Beine benutzen. Der Hund rührte sich nicht. Seine Nase zitterte ein wenig. Ansonsten krümmte sich kein Haar. Nilah nahm den Kerzenhalter und beäugte die Stelle genauer. Aber da war nichts, außer, dass die Bodendielen sowie die getünchte Wand dort, wo die Truhe gestanden hatte, ein wenig heller waren.
    «Siehst Du, da ist absolut gar nichts.» Sie klopfte zum Beweis mit den Handknöcheln gegen die weiße Wand und strich mit der anderen über die Dielen, als eine davon plötzlich zu zischen begann. Qualm stieg auf.

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