Die Bestimmung
nichts, sich zu streiten. Und das mit einer der Vollendeten . Sie war pure, ja, wilde Magie, die ihre eigenen Regeln machte. Gestaltwandler der ersten Tage. Mutter vieler heiliger Tiere, mit unermesslichem Wissen. Innerlich betete er diese Leier jetzt herunter. Genau das hatte ihm Enya, die Druidin, über diese Vollendete erzählt. Er solle ihr mit dem Respekt begegnen, der ihr zweifelsohne gebühre. Aber wie sollte er das tun, wenn diese Wächterin launischer war als das Wetter in den Bergen.
«Dann danke ich Dir für Deine Hilfe», murmelte er zwischen den Zähnen hindurch. Auch wenn ich sie nicht gebraucht hätte , fügte er in Gedanken hinzu. Er lächelte, wie er hoffte, ein sehr dankbares Lächeln. «Was hatten die dort überhaupt zu suchen?», fragte er und versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. «Sie gehören nicht in diese Welt und wollen es auch nicht, soweit ich weiß.»
Wieder fühlte er einen Lufthauch. Diesmal strich dieser um seine Beine.
«Was gehen mich Eure Allianzen und Absprachen an? Ihr, die Ihr nichts besser könnt, als Euch gegenseitig zu verraten und zu zerstören.» Jetzt war die Stimme angriffslustig.
Der Krieger ließ es gut sein. Keine Wortgefechte mehr mit einem Wesen, das ihm jede seiner Silben verdreht wieder um die Ohren hauen würde. Plötzlich fiel ihm ein, dass er nicht allein gekommen war. Vor der Höhle lag noch das Mädchen. Er sollte sie besser hier herunterbringen und einige dringende Fragen stellen. Denn immer mehr keimte in ihm ein Gefühl auf, von dem er hoffte, er würde sich irren. Als er aus der Höhle trat, war das Mädchen fort. Nur die seltsame Kappe lag noch dort im Gras. Leise fluchte er vor sich hin und starrte in die Dunkelheit. Und kaum hatte er einen Entschluss gefasst, da zerriss ihn wieder der Schmerz. Er ging auf die Knie und seine Schultern bogen sich durch. Mühsam hielt er die Kiefer aufeinander gepresst und keuchte, als das Ziehen und Knirschen endlich nachließ. Er hob den Blick und sah einen großen Vogel, der sich über die Bäume schwang und zwischen ihren Schatten verschwand. Der Ruf, den er ausstieß, hallte noch lange in seinem Kopf nach.
In Vergessenheit geraten
Der Schock dauerte nicht lang, als Nilah wieder zu sich kam. Sie bemerkte, dass sie nicht mehr dort lag, wo sie glaubte, ohnmächtig zu Boden gegangen zu sein. Ein altes, sehr kaltes Gefühl beschlich sie. Eines, das sie zutiefst ängstigte. Doch jetzt war es so deutlich in ihr, dass sie alle Gegenwehr aufgab, zu keiner Verdrängung mehr fähig. Ich bin wie sie! Ich verliere meinen Verstand! Fast tat es gut, diese Tatsache endlich zu akzeptieren. Sie erhob sich mühsam. Wie in Trance stolperte sie durch die Dunkelheit, ohne etwas zu empfinden. Ich laufe nachts herum, schlafwandle und habe Halluzinationen. Jetzt ist es soweit. Kein Warten mehr.
Nach einiger Zeit sah sie Häuser, die bleich in der Dunkelheit standen. Eine Straße war davor. Geliebte Zivilisation! Sie klopfte höflich aber bestimmt an die erstbeste Tür. Überraschend schnell ging ein Fenster im zweiten Stock über ihr auf. Eine Frau rief etwas zu ihr herunter. Nilah flehte: «Bitte, können Sie mir helfen? Ich glaube, ich habe mich verlaufen.»
Kurz danach ging im Flur Licht an und die Haustür auf. Ein paar stützende Schritte und beruhigende Worte später saß Nilah mit einer Decke um die Schultern an einem grün lackierten Küchentisch, vor sich eine Tasse mit Tee, den sie nicht anrührte. Sie starrte auf einige abgeblätterte Stellen des Tisches und hörte, wie im Nebenraum die alte Dame mit Atticus Finch telefonierte. Nilah hatte nicht nach ihrem Vater schicken können. Er wäre bei ihrem Anblick sicherlich vor Kummer zusammengebrochen. Und Morrin wollte sie auch nicht aus dem Bett klingeln, wenn sie dort überhaupt war. Sie würde es sicher ihrem Vater erzählen, wenn nicht sofort, dann irgendwann später. Aber erzählen würde sie es ihm ganz sicher. Also war nur Atticus geblieben. Sonst kannte sie niemanden auf dieser Insel.
Die alte Dame kam zurück und setzte sich zu ihr. Sie hatte ein altes Nachthemd an. Eine Lesebrille wippte vor ihrem großen Busen herum und an den Füßen trug sie rote Turnschuhe. Nilah konnte ihr nicht in die Augen schauen. Sie hatte Angst, die alte Frau würde erst alle Heiligen und dann den Papst selbst anrufen, der hinter ihr von einem Bild milde herunterlächelte. Sicher würde sie den Wahnsinn in ihren Augen erblicken. Das wollte Nilah ihr ersparen,
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