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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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und einen Platz zum Ausruhen. Dann erst würde er sich den Tatsachen stellen und darüber grübeln, was zu tun sei. Außerdem hatte er jemanden auf der Schulter liegen. Dieses Problem war auch nicht ganz ohne.
    Eines begriff er sehr schnell. Die Landschaft hatte sich radikal verändert, das konnte er selbst in dieser Dunkelheit erkennen. Er hatte gehört, wie die römischen Legionen fast das ganze jenseits des Kanals liegende Land mit ihren Äxten leer gefegt hatten. Ihr nie erlahmender Eroberungshunger hatte in den keltischen Stammesgebieten die Wälder wie ein zorniger Gott verschlungen. Ihr heiliges Holz war zu hunderten Kriegsschiffen verbaut worden. Man hatte aus ihnen Belagerungsmaschinen, Waffen und Wachtürme gemacht und sie in Thermen und Bädern verheizt. Und noch vor Tagen, wie es ihm schien, hatten sie die Stadt Alesia eingekreist.
    Jetzt keimte eine grausame Vorstellung in ihm auf. War es so gekommen, wie viele befürchtet hatten? Waren die Römer bis hierher gekommen und hatten seine Insel zu einer Provinz gemacht? Allein der Gedanke schnürte ihm die Kehle zu.
    Vor ihm tauchte ein Weg auf. Als er seine Füße darauf stellte, fühlte er den harten rauen Stein. Eine Straße! Es war also wahr, die Römer hatten die Insel eingenommen. Er roch Torf in der Luft. Verbrannten Torf. Langsam ging er weiter. Zwei Häuser tauchten an der rechten Seite auf. Aber aus keinem drang Licht. Verfluchter Cäsar , dachte der Krieger bitter und beschleunigte seine Schritte. Am Ende der Straße war ein Gatter. Er stieß es auf, hielt sich links bis zu einer Böschung, erkannte den alten Ringwall, der ebenfalls nur noch wie ein Schatten seiner selbst aussah. Der Eingang zur Höhle, der noch dunkler als die Nacht wie ein Fischmaul aus dem Wall gähnte, hatte sich ebenfalls verändert. Jetzt waren dort Sturzsteine, die die Seiten begrenzten. Sie trugen Schriftzeichen. Behutsam legte der Krieger die Ohnmächtige ins Gras. Erst jetzt fiel ihm auch dieser seltsame Helm auf, den sie auf dem Kopf trug. Waren das nicht griechische Buchstaben? Was bedeutete PeTA? Heiß durchströmte es ihn auf einmal. Sollte das vielleicht ... Er riss den Helm herunter und wich unwillkürlich zurück. Sein Atem ging schneller. Die Haare, die darunter hervorfielen ... waren, das Gesicht ... nein, das konnte nicht sein ... es durfte nicht sein! Er fühlte vorsichtig den Puls. Klar und ruhig ging er. Mit einem ärgerlichen Schnaufen stieß er all diese Gedanken von sich. Keine Zeit! Er konnte nicht hier draußen herumhocken und darauf warten, alles zu verstehen, während römische Patrouillen ihn womöglich aufspürten oder Einheimische ängstlich Alarm schlugen.
    Er duckte sich und krabbelte den fast fünfundzwanzig Meter langen Gang hinunter, bis dieser sich in eine geräumige Höhle verbreiterte. Er stand auf und sah sich um. Selbst in dieser Finsternis konnte er noch den mittlerweile sehr schwachen Schein der Hand erkennen, die in die Felswand geritzt worden war. Sie bestand aus nur einer einzigen Linie. Er legte seine Hand auf die Felszeichnung und wartete angespannt. Plötzlich spürte er einen vagen Luftzug hinter sich und ein Lachen, das an den Wänden entlangschlich. Dann ein anerkennendes Raunen.
    «Lass das, Nainsi», flüsterte er ärgerlich und drehte sich im Kreis, um das lästige Kichern endlich mit den Augen fassen zu können. Etwas berührte ihn erst an der Schulter, danach zwickte ihn jemand in den Po. Eine Stimme neben ihm erklang. Leicht wie Frühlingsluft, fein wie das Summen einer Biene in einem Blütenkelch: «Er ist ja noch immer so schön. Ja, das ist er wirklich. All die Zeit hat ihm nichts anhaben können – wie wunderbar!»
    «Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass es falsch war, Dich auf diesen Ort ein wachsames Auge werfen zu lassen. Du warst damals schon unverschämt», brummte der Krieger während er versuchte herauszufinden, wo diese verdammte Wächterin herumschwirrte.
    «Danke, ich liebe Dich auch, schöner Krieger», erwiderte eine jetzt viel festere Stimme.
    Im nächsten Moment bekam er einen feuchten, schmatzenden Kuss auf die Lippen. Angewidert fuhr er sich mit der Hand durch das Gesicht und spuckte aus.
    «Oh ...», zischte es neben seinem Ohr. «Ist das der Lohn dafür, dass ich einen der Trolle auf meine Hörner nahm? Du undankbarer, dreckverschmierter ...», hob sich die Stimme. «... leckerer, süßer ... Mann», senkte sie sich wieder.
    Der Krieger versuchte, seine Wut herunterzuschlucken. Es nutzte gar

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