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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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auch wenn es sehr unhöflich war. Aber Eyleen, so hieß die gute, ersparte ihr aufdringliche Fragen. Sie hantierte ein wenig ziellos in der Küche herum und murmelte etwas davon, dass sie heute Nacht den Schrei einer gepeinigten Seele gehört hätte. Kein guter Zeitpunkt für ein junges Mädchen, sich in dieser Gegend zu verirren und dann noch ohne festes Schuhwerk.
    Schon recht bald klingelte es. Der Professor beugte sich elegant in seinem altmodischen Anzug unter dem Türrahmen hindurch. Nilah hörte ihn etwas auf gälisch erzählen. Anscheinend musste er an ihrer statt ein paar Dinge erklären. Eyleen nickte betroffen, schlug ein Kreuzzeichen, verschränkte dann ihre Hände unter ihrem üppigen Busen und erwiderte etwas, das sehr mitfühlend klang.
    Nach ein paar Minuten saß Nilah auf dem Beifahrersitz eines alten VW-Käfers. Sie wagte es nicht, aus dem Fenster zu schauen. Zu viele schwarze Schatten zogen an den Scheinwerfern vorbei, als würde dem Wagen eine hetzende Meute folgen.
    «Danke», flüsterte Nilah.
    «Darf ich Dir jetzt mal eine Frage stellen?» fragte Atticus mit dieser sanften, bestimmenden Stimme, ohne auf ihre Dankbarkeitsbekundung einzugehen. Nilah nickte nur.
    «Warum bist Du Veganerin? So nennt man das doch, wenn man keinerlei tierische Produkte isst, oder?»
    Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Sie war müde. Der Wagen rumpelte.
    «Ich … ich kann das einfach nicht. All dieses Töten, es bricht mir das Herz.» Leise fügte sie hinzu: «Es ist unmenschlich - wir haben dadurch unsere menschlichen Seelen verbannt, so empfinde ich es.»
    Atticus nickte, zumindest sah es so aus. «Da bist Du in diesem Land voller Schafe und Kühe wahrscheinlich auf ziemlich verlorenem Posten, würde ich meinen.»
    «Wäre ich dazu noch Protestant, könnte ich mich wohl gleich selbst erschießen», fügte Nilah recht sarkastisch hinzu.
    Atticus lachte.
    «Treffer und versenkt!», kicherte er. «Bräuche und Tradition können die Menschen an jegliche Abscheulichkeit gewöhnen, sagte schon George Bernard Shaw», gab er nun ernster zu.
    «Warum steht hier in jeder Ecke und hinter jedem Busch ein Steinkreis, ein Hügelgrab und was weiß ich noch? Dennoch hängt in jedem Haus der Papst und grinst.»
    «Eine gute Frage. Diese Insel platzt aus allen mythischen Nähten. Ich denke, an keinem anderen Ort der Welt sind so viele Hinterlassenschaften aus der Stein-, Bronze-und Eisenzeit zu finden wie hier in Irland. Jedenfalls wenn man es auf die Quadratmeterzahl umrechnet.» Er lachte wieder herzhaft. «Aber ich kann es Dir nicht sagen. Neben der Bretagne und Nordschottland war Irland einer der letzten Rückzugspunkte der keltischen Religion sowie ihrer Lebensweise. Nur ein paar hundert Jahre später nannte man unsere Insel schon die kleine Schwester des Papstes. Doch im Herzen der meisten hier haben die Mythen noch immer ein Zimmer mit Kamin»
    Sie fuhren den Hügel hinab. Der Professor schaltete Motor und Licht aus und ließ den Wagen vor Eddas Cottage ausrollen.
    «Was haben Sie der alten Dame gesagt?»
    «Nur, dass eine Beerdigung der Oma, eine irische Totenfeier und der erste Whisky in einem fremden, geheimnisvollem Land einen Teenager aus Hamburg schon mal in seiner Gesamtheit aus den Socken hauen können.» Er grinste sie an und Nilah freute sich, dass sie ihn hatte anrufen lassen. Er hatte die gütigsten Augen, die sie seit langem gesehen hatte.
    Sie öffnete die Tür, drückte sie möglichst leise zu und beugte sich noch einmal zum Seitenfenster hinunter. «Die Decke, ich werde sie waschen und zurückbringen.»
    «Keine Sorge, das eilt nicht», sagte Atticus.
    «Sie werden niemandem etwas sagen, oder?»
    «Nein, das werde ich nicht.» Es klang vollkommen ernst und Nilah wusste, dass der Professor die Kenntnis über diesen Abend mit ins Grab nehmen würde. Ein wenig schämte sie sich.
    «Haben Sie eigentlich schon etwas herausgefunden. Über den Brief meine ich?»
    «Bisher nur wenig. Ich war heute damit in Dublin und habe meinen alten Studenten etwas zum Grübeln gebracht. Keine Angst, das Original ist in meinem Haus. Ich melde mich bei Dir, sobald ich etwas erfahren habe.»
    Nilah bedankte sich nochmals und sah dem Käfer nach, als dieser sich wieder in Bewegung setzte und verschwand.
    Drinnen brummte ihr Vater weiterhin einen seligen Schlaf. Wie sie ihn beneidete. Er konnte überall auf der Welt auf „Drei“ einschlafen. Dann schlummerte er so tief, dass man Kanonen abfeuern konnte. Sie und Atticus hätten

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