Die Bestimmung
Schritten in die Küche und kehrte kurz darauf mit dem größten Messer, das er aus dem Block ziehen konnte, zurück.
«Deshalb!», sagte Liran nur, schob ein paar Sachen beiseite, legte seine rechte Hand auf den Tisch, erhob den Arm mit dem Messer, sah nicht einmal hin, sondern sie an. Jetzt stieß er die Klinge mit aller Kraft hinunter. Nilah schrie auf und schoss dabei aus dem Sessel hoch. Ihr Vater schien einen Moment völlig apathisch, bis er sich fing und: «Ohhh, verdammte Scheiße!», schrie. Nilah schloss schnell die Augen. Der Schrei klebte noch immer in ihrem Hals, als sie es wagte, einen Blick zu riskieren. Und was sie sah, machte ihr Angst.
Die Klinge, die Liran auf seine Hand hatte niedersausen lassen, war zerstoben. Sie war wie Staub auseinander getrieben worden, bevor sie überhaupt die Haut berühren konnte. Silbriger Stahldunst hing in der Luft.
Sie sah ihren Vater an, der wie gebannt zwischen Klinge und Handfläche auf und ab blickte. Das war kein Scherz, kein Trick gewesen. Das war echt. Langsam, als wäre sie plötzlich ganz schwer geworden, setzte sie sich wieder.
«Nichts, was aus Eurer Zeit stammt, kann mich verletzen!», erklärte der Krieger, erhob das halb zerfallene Messer und legte es auf den Tisch. «Und nur diese alten Waffen können auch unsere Gegner töten!»
«Grundgütiger», hörte Nilah ihren Vater flüstern. Seine Stimme klang gar nicht gut.
«Aber meine Welt kann die Eure in Stücke reißen!» Lirans Stimme klang wie von weit fort, sie musste von weit fort kommen. Sie musste. Bitte!
Ihr Vater stand wortlos auf und lief in den Flur. Sie hörte, wie er das Kellerlicht anschaltete und dann seine schnellen Schritte auf der Treppe. Noch immer starrte sie auf die geborstene Klinge. Sie konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Liran wich ihrem Blick aus.
Aber meine Welt kann die Eure in Stücke reißen! Nilah konnte nicht in Worten und auch nicht in Gedanken fassen, in was sie da wirklich hineingeraten war. Dann kam ihr Vater aus dem Keller zurück. Schwer atmend ließ er einen alten Schuhkarton auf den Wohnzimmertisch knallen. Liran streckte seine Hand darüber, ließ sie wandern, bis ein kurzes und richtig begeistertes Aufleuchten in seinen Augen erschien. Da wurde Nilah nicht nur mulmig zumute, sondern sie hatte das Gefühl, dass etwas aus dem Ruder lief. Und zwar ganz gewaltig. Als ihr Vater dann den Karton aufklappte und sichtlich erwartend in die Augen des Kriegers schaute, da fühlte sie sich plötzlich wie ein Staffelstab, der übergeben worden war. Von einem zum anderen. Was hatten die beiden da draußen getan?
Als auch sie in den Karton hineinsah, waren da nur Steine, viele Steine. Sie sahen nicht einmal besonders aus. Nilah wurde wütend und sie wusste nicht, warum.
«Was soll denn das? Ein paar alte Steine, na und?»
«Steine der Zeit!», flüsterte Liran leise. Seine Augen formten Dinge, die Nilah nicht gefielen. Fragend sah sie ihren Vater an.
«Die haben wir bei einer Dokumentation in Frankreich gefunden. Da lagen so viele 'rum, dass wir glaubten, ein paar weniger davon fallen nicht auf. Sie sind aus der Steinzeit.»
«Und sie alle haben einst etwas getötet», ergänzte Liran. Seine Stimme jagte Nilah einen kalten Stoß durch die Rippen. Es war die Begeisterung, die sie in seinen Worten erkannte, die sie zum Schaudern brachte.
Langsam ließ der Krieger die zugespitzten Stücke durch seine Finger gleiten, als könne er jedes blutige Elend, das einst damit verbunden war, noch heute darin fühlen. Nilah schaute weg.
«Ich brauche einen Bogen und Pfeilschäfte», sagte Liran und stand auf. Seine Augen stachen durch seine fallenden Haare wie blaue Sterne. Hilfesuchend schaute Nilah ihren Vater an, aber der schien ganz auf der Linie des Kriegers zu sein. Wo war der Pazifist geblieben?
«Da gibt es ein Sportgeschäft, die haben bestimmt welche», überlegte er laut.
«Ich brauche feuchte Lederbänder, einen mannshohen Kriegsbogen und lange gehärtete Pfeilschäfte. Eine Schlinge, von doppelter Armlänge, strapazierfähig, und ich muss jeden Winkel dieses Hauses kennen lernen. Wo ist eigentlich meine Kleidung?»
Nilah erkannte etwas, das ihr so unvermittelt Abscheu einjagte und sie doch auf unbestimmte Weise aufwühlte, auch wenn es schmerzte, sich das einzugestehen. Als hätte sie es die ganze Zeit verdrängt oder nicht wahrhaben wollen.
Liran war ein Mann, der eine Aura von Gefährlichkeit ausstrahlte. Eine kaum spürbare Autorität umgab ihn. Er war
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